Spiritualität für die Praxis
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Mazenodfamilie
Samstag, 3. Dezember 2022
Eugen von Mazenod

Spiritualität für die Praxis

In den vergangenen WEINBERG- Ausgaben haben wir uns mit verschiedenen spirituellen Traditionen des Christentums beschäftigt. In diesem Artikel widmen wir uns dem Charisma des hl. Eugen von Mazenod.

In der Mazenodfamilie wird viel von der Spiritualität und dem Charisma des hl. Eugen gesprochen. Dieses Charisma entwickelte Eugen nicht aus sich selbst heraus, quasi in einem luftleeren Raum. Er schöpfte aus unterschiedlichen Quellen, aus denen er eine eigene Spiritualität entwickelte. Dabei ist das Charisma von der Person des Gründers nicht zu trennen. Denn Eugen war kein Theoretiker, der eine systematische Erörterung vorgelegt hätte. Sondern er griff verschiedene Aspekte aus unterschiedlichen Traditionen auf, prüfte sie an seiner missionarischen Arbeit und seinem täglichen Leben in der Gemeinschaft; anschließend vertiefte er jene weiter, die er als wirkungsvoll und hilfreich ansah, so P. Frank Santucci OMI, Professor für Oblaten-Spiritualität an der Universität St. Antonio (Texas), mit dem DER WEINBERG über den hl. Eugen sprach.

Jugendjahre auf Wanderschaft

Eugens Biographie in den ersten Lebensjahrzehnten ist vor allem durch eine stete Wanderschaft gekennzeichnet. Er wurde 1782 in Aix-en-Provence in eine lokale Adelsfamilie hineingeboren. Als die Französische Revolution ausbrach, sahen sich sein Vater und sein Onkel bedroht und flohen gen Italien; zunächst nach Turin, dann nach Venedig. Während Eugen in Turin noch eine Schule für junge Adlige besuchen konnte, erhielt er in Venedig Hausunterricht. In dieser Phase tritt auch ein erster, entscheidender Einfluss auf: Der junge Priester Bartolo Zinelli. Dieser war nicht nur ausschlaggebend für die schulische Bildung des Heranwachsenden, sondern er führte Eugen auch an die jesuitische Spiritualität heran.

Venedig sollte nicht der letzte Zufluchtsort vor den herannahenden französischen Truppen bleiben. Der weitere Verlauf des Exils entfremdete Eugen wieder vom Glauben. Erst 1802 kehrte er auf Wunsch seiner Mutter nach Frankreich heim; allerdings ohne seinen Vater und seinen Onkel, die im Exil blieben. In den nächsten Jahren versuchte er durch intensives Selbststudium die fehlende Bildung der Exilszeit wieder aufzuholen; innerlich freilich litt er unter einer geistlichen Unentschlossenheit. Diese löst sich auf, als er 1807, mit 25 Jahren, am Karfreitag vor dem Kreuz eine innere Bekehrung vollzog.

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Erstes Kloster der Oblaten in Aix-en-Provence

Jesus Christus als der Gekreuzigte

Diese Konversion bildet einen Schlüssel in der Spiritualität Eugens. Das Kreuz wurde für ihn zu dem Symbol seiner Spiritualität. Zugleich gab diese Konversion ihm den Weg ins Priestertum vor.

„Eugen realisierte Gottes Liebe für ihn; und so wollte er für Gottes Liebe leben; das nannte Eugen später Oblation“, also als Hingabe, so P. Frank Santucci.

Schon damals nahm die Kirche für Eugen eine Schlüsselstellung in seinem Denken ein. Durch die Französische Revolution und das napoleonische Empire war die alte Kirche Frankreichs zerstört worden und neue Strukturen im Aufbau. Eugen wollte seinen Beitrag leisten, die Krise der Kirche zu überwinden.

Eugen studierte nicht in Aix-en-Provence, sondern in Paris, im Seminar St. Sulpice. Das war damals das bedeutendste Priesterseminar in Frankreich und noch immer geprägt von der École française de spiritualité: Im Zentrum dieser Spiritualität steht die Menschwerdung Gottes in der Inkarnation. Der Priester nahm in der spirituellen Tradition von St. Sulpice an dieser Inkarnation teil, indem sie in der hl. Messe vergegenwärtigt wurde. So vermittelte man Eugen in Paris eine ausgeprägte Vorstellung von der Würde des Priestertums.

Eugen nahm auch einen praktischen Ansatz aus seiner Zeit im Seminar mit: die Volkmission. Diese wurde schon vor der Französischen Revolution in St. Sulpice propagiert. Sie sollte in den ersten Jahren der Missionare der Provence prägend für deren Arbeit sein.

Als er nach Aix-en-Provence zurückkehrte, kam ein weiterer wichtiger Impuls für seine Spiritualität und die der Oblaten hinzu: die kontemplativ-monastische Tradition der Kirche. Während der Französischen Revolution waren alle kontemplativen Orden in Frankreich aufgehoben worden und auch in vielen anderen Teilen Europas wurden die monastischen Gemeinschaften aufgelöst oder gerieten in eine Krise. Eugen lernte diese Tradition durch einen ehemaligen Trappisten kennen: Bruder Maurus, der in Aix-en-Provence als sein Diener arbeitete.

Dieser monastische Einfluss war für Eugen so bedeutsam, dass er während einer schweren Krankheit überlegte, ob er in ein Kloster eintreten sollte. Aber er entschied sich dagegen; er hatte den Eindruck, Gott brauche ihn an anderer Stelle mehr. Dennoch blieb der monastische Einfluss wirksam. So etwa in der ursprünglichen Regel der Oblaten, die zwischen aktiven und kontemplativen Zeiten für die Mitglieder der Gemeinschaft unterschied.

Den größten Einfluss hatte auf Eugen, in der frühen Phase seines Priestertums, die Spiritualität des hl. Ignatius von Loyola. Häufig nahm er an ignatianischen Exerzitien teil. Entsprechend machte er es den Oblaten zur Aufgabe, für ihre eigenen Exerzitien aus dieser Tradition zu schöpfen. Ein weiterer wichtiger Einfluss war Alfons von Liguori (Ordensgründer der Redemptoristen *1696 bei Neapel; †1787 bei Salerno). Mit ihm hatte er viel gemeinsam: Alfons war ursprünglich Anwalt. Auch Eugen kam aus einer Juristenfamilie . Wie Eugen war Alfons ein junger Adliger, der eine innere Konversion erlebte. Beide wurden Priester, und beide fühlten sich nicht zur Arbeit in einer Pfarrei berufen, sondern zu den Armen gesandt, die bislang von der Kirche nicht erreicht wurden. Alfons begann Volksmissionen im Dialekt der neapolitanischen Bevölkerung zu halten, um die Armen zu erreichen; Eugen tat das Gleiche im provenzalischen Dialekt. Auch durch die Moraltheologie Alfons erhielt Eugen viele Impulse.

 

So wurden die Oblaten von der Beichttheologie Alfons von Liguoris stark beeinflusst. Ein Beispiel für diese Inspiration erzählt P. Santucci über P. Joseph Guibert (*1802 in Aix-en-Provence; †1886 in Paris): Guibert führt ausgehend von Notre-Dame du Laus eine Volksmission in einem kleinen Ort durch. Der Ortsgeistliche betonte, die Volksmission könne zwar gehalten werden, aber sie dürften Prostituierten und fahremden Volk nicht die Beichte abnehmen, dazu gebe es keine Erlaubnis des Ortsbischofs. Daraufhin reiste Guibert wieder ab, um den Bischof davon zu überzeugen, die Beichterlaubnis zu erweitern.

So bediente sich die erste Regel für die Missionare der Provence, wie die Oblatenmissionare ursprünglich hießen, folgerichtig aus diesen Quellen: der Regel des Alfons von Liguori, der Jesuiten und zudem noch der Regel der Vincentiner, deren Ordensgründer Vinzenz von Paul als einer der Begründer der neuzeitlichen Armenfürsorge gilt (*24. April 1581 in Pouy; † 27. September 1660 in Paris).

Die nächsten Jahrzehnte waren für Eugen nicht von systematischen Überlegungen geprägt, sondern vor allem von vielen Aktivitäten und Aufgaben: Als Ordensgründer und Oberer seiner Gemeinschaft, als Generalvikar und später als Bischof von Marseille, in denen sich sein Charisma entfaltete.