Die Welt ist mehr als menschlich
Kommen Tiere in den Himmel? „Ja, wohin denn sonst?“, erwidert Rainer Hagencord. Der Leiter des Instituts für Theologische Zoologie widmet sich seit vielen Jahren einer Frage, die in der Theologie weitgehend unbeachtet ist: Wie es um das Verhältnis des Menschen zur übrigen Schöpfung bestellt ist. „Mehr als menschliche Welt“, nennt Hagencord diese Perspektive. Er macht damit auf ein zentrales Problem aufmerksam: Die westliche Gesellschaft hat ihre natürliche Mit-Welt, hat Pflanzen und Tiere, weitgehend aus dem Blick verloren.
Das gilt auch für die Theologie. Die Mitgeschöpfe spielen theologisch kaum mehr eine Rolle. Das war einmal anders: Die Bibel nimmt die Tier- und Pflanzenwelt noch als Dialogpartner des Menschen wahr. Das verwundert nicht. Denn die Bibel ist in einer agrarischen Kultur entstanden. Die Natur wird in der Genesis zuerst geschaffen. Die Tiere sind die ersten Partner Adams. Auch werden nicht sie aus dem Garten Eden vertrieben; nur die Menschen. Und häufig wird in der Bibel auf die Tiere als Lehrer verwiesen: Die Eselin des Bileam sieht den Engel und gehorcht ihm, der reitende Prophet nicht (Numeri 22,21–34); in den Gleichnissen Jesu kommen etwa die Vögel vor, an denen sich die Jünger ein Vorbild nehmen sollen (Matthäus 6,25–34).
Ein Dualismus zieht ein
Doch schon früh in der Theologiegeschichte zieht ein Dualismus auf zwischen dem Menschen auf der einen und allen anderen Geschöpfen auf der anderen Seite. Etwa durch den Hellenismus und die griechische Philosophie. In den nächsten Jahrhunderten gab es dann beide Strömungen im Christentum. Es war die Aufklärung, die schließlich den Ausschlag gab. Für den Menschen betonten die Aufklärer die Freiheit und seinen Anspruch, das Leben selbst gestalten zu können gemäß seinen moralischen Erkenntnissen. Die Tiere gerieten aus dem Blick. Auch in der Theologie.
Vor einigen Jahren hat Papst Franziskus mit Laudato Si das Thema in der Kirche wieder prominent auf die Agenda gesetzt. Vor allem im globalen Süden wurde die Enzyklika intensiv rezipiert. Theologen und Bischofskonferenzen haben daraus Konzepte für eine kirchliche Perspektive auf die mehr als menschliche Welt abgeleitet. In Europa würden dagegen die Fachtheologen und die Bischöfe weitgehend zu dem Thema schweigen, so Hagencord.
Er weiß, wovon er redet. Er ist katholischer Priester. Nach einigen Jahren in der Gemeinde hat er sich seinen Wunsch erfüllen können, Biologie zu studieren und später noch eine Promotion draufgesetzt. Daraus ist ein Gespräch mit den Naturwissenschaften entstanden. Als dieser Gesprächsbedarf immer größer wurde, hat er das Institut für Theologische Zoologie gegründet. Immerhin: Das Bistum Münster hat ihn für seine Arbeit im Institut freigestellt und bezahlt sein Gehalt weiter. Weitere institutionelle Finanzierungen fehlen allerdings. So ist das Institut für seine Arbeit vor allem auf Spenden angewiesen, um Initiativen und Projekte sowie die tierischen Mitarbeiter zu finanzieren: zwei Esel.
Ziel des Instituts ist es, Menschen für die mehr als menschliche Welt zu sensibilisieren und die Strömungen der Theologiegeschichte aufzuzeigen, die an das Gespräch mit den Naturwissenschaften anschlussfähig sind.
Despotischer Anthropozentrismus
Das sei umso notwendiger, da ausgehend vom christlich geprägten Europa eine ökologische Katastrophe im Gange sei: das Ergebnis eines despotischen Anthropozentrismus, so Papst Franziskus. Laut Hagencord hat es eine ganze Kultur mittlerweile als selbstverständlich hingenommen, dass Gewalt gegen Tiere und Menschen in industriellen Schlachtbetrieben als stillschweigend akzeptabel angesehen wird. Die Öffentlichkeit wird regelmäßig auf die Konsequenzen der industriellen Massenfertigung von Fleischwaren hingewiesen: Die Preise der großen Fleischereibetriebe sind so niedrig, dass die liefernden Bauern das Tierwohl nicht in den Blick nehmen können. Die häufig ausländischen Arbeiter leben unter menschenunwürdigen Bedingungen. Doch weiterhin hat das billige Fleisch aus dem Supermarkt eine höhere Bedeutung für die Kunden als tier- und menschenwürdiges Leben. Hagencord formuliert es zugespitzt: „Wir kennen von allem den Preis, aber von nichts mehr den Wert.“
Es braucht Noah-Menschen
Wenn etwas den Menschen vor dem Tier auszeichnet, dann ist es diese Fähigkeit zur Verantwortung für seine Umwelt, so Hagencord. Die Gorillas haben keine Verantwortung für den Urwald in dem sie leben. Die Menschheit schon. Die belebte Welt ist eine Schicksalsgemeinschaft. Wie sie in Zukunft aussehen wird, liegt wesentlich an den Entscheidungen, die der Mensch trifft. Heraushalten kann sich die Menschheit nicht mehr.
Der Blick von Hagencord in die Zukunft ist dabei wenig optimistisch: für ihn ist es nicht mehr 11:55 Uhr, sondern schon 12:05 Uhr. Er geht mit vielen Wissenschaftlern davon aus, dass etwa das massive Artensterben gar nicht mehr verhindert werden kann. Es könne in den nächsten zehn Jahren nur noch darum gehen, das Schlimmste zu verhüten. Das Schlimmste wäre dabei für den Menschen, dass er sich seine eigene Lebensgrundlage entzieht. Dabei seien die wesentlichen Erkenntnisse nicht neu. Der Club of Rome hat schon in den siebziger Jahren die Grenzen des Wachstums ausgerufen. Die Resonanz hierauf war bislang noch nicht durchschlagend.
Doch bemerkt Hagencord einen Umschwung in der jüngeren Generation, vor allem in den vergangenen drei bis vier Jahren. Durch Fridays vor Future kommt das Thema wieder verstärkt auf die politische Agenda. Eine persönliche Beobachtung des Leiters des Instituts für Theologische Zoologie: Mittlerweile erklären sich in seinen Seminaren nicht mehr die Vegetarier, sondern jene, die noch Fleisch essen. All das sind Hoffnungszeichen: Es braucht Leute, denen der Friede mit allen Geschöpfen ein Anliegen ist. Sie nennt Hagencord Noah-Menschen: Personen, die Archen bauen, also Lebensräume für gefährdete Arten unter Schutz stellen und die Bewahrung allen Lebens zu ihrer Aufgabe machen.