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Mazenodfamilie
Im Gespräch
Paraguay
Montag, 24. Oktober 2022

„Sie akzeptieren mich wie einen der ihren“

P. Miguel Fritz OMI trat 1974 in die Gemeinschaft der Oblatenmissionare ein. Seit 1985 lebt er in Paraguay. Die meiste Zeit davon hat er im Chaco bei den Nivaĉle verbracht. Er arbeitet in der Pfarrei Fischat und ist Generalvikar des Apostolischen Vikariates Pilcomayo.

Pater Fritz, wie kam es, dass Sie heute Missionar in Paraguay bei den Nivaĉle sind?

Miguel Fritz

Ursprünglich bin ich 1974 mit der Idee, in die Mission zu gehen, bei den Oblaten eingetreten. Im Laufe meines Studiums habe ich dann ein neues Bewusstsein für diese Frage bekommen. Damit hatte sich diese Idee erstmal erledigt. 1983 hatte ich dann im Urlaub zusammen mit Freunden eine neue Idee: Man müsste eigentlich mal für ein paar Jahre in die Mission nach Lateinamerika gehen, Erfahrungen sammeln und die nach Deutschland zurückbringen. Das hat bei mir gezündet.

 

1985 kam ich nach Paraguay, zunächst in den Osten des Landes. Nach zwei Jahren hat mich der damalige Provinzial gefragt, ob ich in den Chaco wollte. Für die Oblaten ist das eine wichtige Mission. Dort, bei den Nivaĉle, einem Volk im Chaco, haben sie mit ihrer Mission in Südamerika angefangen. Und es ist derzeit immer noch kein anderer da, der Nivaĉle spricht. Daraus ergibt sich für mich eine historische Verantwortung von uns Oblaten, der ich mich nicht entziehen wollte.

Wie würden Sie die ersten Begegnungen mit den Nivaĉle beschreiben?

Miguel Fritz

Am Anfang bin ich ohnehin immer mit einem Wagen voller Lebensmittel und Gebrauchsgegenständen angereist. Bis in die 90er Jahre haben wir die Lehrer bei den Nivaĉle bezahlt. Und weil man in ihrer Umgebung im Chaco mit Geld nichts kaufen konnte, haben wir für einen Teil des Gehalts Nahrungsmittel gekauft und sie in die Dörfer gebracht. Die Leute waren es also gewöhnt, dass ich mit einem vollen Wagen ankomme. Später habe ich dann alte Zeitungen mitgebracht. Die sind ganz praktisch: Man kann sie lesen, man kann sie als Toiletten-Papier verwenden, um Bücher einzuschlagen etc. Die Nivaĉle haben sich dann auf die Zeitungen gestürzt und sie zerrissen. Für sie war damit das Ritual erfüllt: Ich habe ihnen etwas mitgebracht, sie haben es untereinander geteilt.

 

Bis heute ist es so, wenn ich in ein Nivaĉle-Dorf komme, dann fragen mich die Leute: Was hast du mitgebracht. Das hat mich am Anfang genervt; ich bin doch kein Händler. Die Nivaĉle waren aber über meine Reaktion auf ihre Frage völlig erschüttert. Ich habe gemerkt: Sie konnten meine Reaktion nicht verstehen. Erst in meinem Studium der Ethnologie habe ich dann gelernt: In Jäger- und Sammler-Kulturen gilt der Grundsatz: Ein Mann kann, wenn er weggeht, nicht mit leeren Händen nach Hause kommen. Und die Nivaĉle sind traditionell Jäger und Sammler; ihre Kultur ist davon geprägt. Das heißt: Wenn sie mich fragen: Was hast du mitgebracht, dann erkennen sie mich, als einen der ihren an.

 

Ich habe später auch einen Namen auf Nivaĉle bekommen: Ale-Ale. Und wenn sie sich über mich ärgern, sagen sie: Du bist schon wie einer der Weißen. Das zeigt: Sie akzeptieren mich wie einen der ihren.

 

Wobei ich nicht der Illusion erliege, ich sei ein Nivaĉle, auch kein Paraguayer. Da gibt es Grenzen der Inkulturation. Ich kann nicht einer der ihren werden. Aber ich lasse mich darauf ein, dass ich nicht derselbe bleibe, als der ich weggegangen bin. Ich mache mich auf einen Weg, auf dem ich nie ankomme – in der je anderen Kultur. Das ist die Option für das Unterwegssein. Das ist für mich jesuanisch: Jesus hat gesagt, ich bin der Weg.

Welche Entwicklung haben Sie seit den 80er Jahren verfolgt, etwa im religiösen Personal?

Miguel Fritz

Als ich Mitte der 80er Jahre in Paraguay ankam, gab es zwei einheimische Oblaten. Von den anderen 40 Oblaten gab es noch fünf aus anderen Nationen; alle anderen waren Deutsche. Jetzt bin ich der einzige deutsche Oblate – abgesehen von den beiden Bischöfen Alfert und Steckling. Mittlerweile sind die meisten der Oblaten Einheimische.

Mittlerweile sind sie seit über 35 Jahren dort. Was sind derzeit ihre Projekte und Aufgaben vor Ort?

Miguel Fritz

Derzeit bin ich Pfarrer und Generalvikar. Ich betreue die flächenmäßig kleinste Pfarrei unseres Vikariates; das entfernteste Dorf ist gerade mal 200 km weit weg, das ist sehr wenig für uns; und wir haben auch nur 15 Gemeinden. Aber wir haben keinen Meter Asphalt in unserer Pfarrei. Das bringt logistischen Aufwand mit sich. Und unsere Struktur ist überaltert. Wir brauchen sechs neue Kapellen; und dafür viel Geld. Die Mittel dafür einzuwerben nimmt viel Zeit in Anspruch. Dazu kommt, dass ich noch meine Aufgabe als Völkerkundler habe und mich mit der Sprache der Nivaĉle beschäftige. Wir haben vor Kurzem noch eine Musikschule gegründet. Dafür wollen wir noch eine Konzerthalle bauen. Dazu kommen die ganz normalen Aufgaben wie die Spendung der Sakramente. Dazu muss man aber sagen: In die Außengemeinden kommen wir häufig nicht mal einmal im Monat; deswegen geht es in den Gemeinden viel darum, die Katecheten zu unterstützen. Wir haben auch einen Laden, mit dem wir unsere finanzielle Existenz sichern.

Sie sind Pfarrer in einer Pfarrei, in der das entlegenste Dorf 200 Kilometer entfernt vom Pfarrhaus ist. Wie ist es, in dieser Situation Priester zu sein?

Miguel Fritz

Da muss man erstmal sagen: Hier in Deutschland liegt der Fokus auf der Pfarrei. Entsprechend wird es als sehr kritisch wahrgenommen, wenn die Pfarrei räumlich ausgedehnt und das Verhältnis Gläubige zu Priestern schlechter wird. Bei uns liegt der Fokus auf der Gemeinde. Das wird gestärkt. Die Katecheten übernehmen die Arbeit vor Ort.

 

Als erstes sind die Katecheten verantwortlich für die religiöse Bildung: Erstkommunion, Firmung, das sind die wichtigsten Sakramente, die müssen vorbereitet werden; Taufe, wo es notwendig ist. Unser Ziel derzeit ist es: Wir möchten nicht, dass die Katechese nur punktuell stattfindet, sondern für die Kinder und Jugendlichen im Idealfall jedes Jahr.

 

Zweitens sind einige Katecheten verantwortlich dafür, den Gottesdienst zu gestalten. Am Sonntag, aber auch, wenn Feste sind. Bei Patronatsfesten wird schon erwartet, dass ein Priester dabei ist; wobei das Fest mit einer Novene neun Tage lang vorbereitet wird; da kann der Priester dann nicht immer dabei sein; dass ein Priester eine Beerdigung hält, ist eher eine Ausnahmesituation. Beerdigungen, das geht dort immer sehr schnell, das läuft auch ohne Kleriker.

 

In einigen Dörfern gibt es auch Kommunionhelfer, die die Kommunion austeilen und zu den Kranken bringen können. Das bringt natürlich neue Herausforderungen mit sich. Denn es muss einen Tabernakel und Gefäße geben. Die müssen aber so gebaut sein, dass etwa kein Ungeziefer reinkommt, die Hostien werden immerhin eine Weile aufbewahrt.

 

Manchen Katecheten wächst so eine so große Wertschätzung zu, dass die Menschen auch ihren Rat suchen, wenn es andere Probleme gibt. So werden sie zu Bezugspersonen, um die Gläubigen in ihren Alltagssorgen zu begleiten.

Wir beobachten gerade einen Ablösungsprozess in den Missionsländern. Sie sagen, sie sind (außer dem Bischof) der letzte europäische Oblate im Vikariat. Wie verschiebt sich damit die Situation vor Ort?

Miguel Fritz

Da spielen verschiedene Faktoren mit. Die Missionare kamen nicht nur mit der frohen Botschaft, sondern auch mit Geld. Mittel aus dem globalen Norden einzuwerben wird natürlich schwieriger ohne europäische Missionare. Die Mitbrüder aus dem Land fragen uns schon: Ihr habt eine Struktur aufgebaut, aber wie sollen wir die erhalten? Die finanzielle Basis fehlt zunehmend. Gleichzeitig nimmt die materielle Erwartung der Mitbrüder auch zu.

 

Ein anderer Punkt ist: In der lateinamerikanischen Kirche fehlt ein missionarisches Bewusstsein. In Paraguay ist man zudem sehr familienorientiert. Von der Familie getrennt zu werden, das ist für diese Menschen kaum möglich. Es gibt deswegen ganz wenige Missionare, die von unserem Kontinent ausgesandt werden.

Wie ist ihre Perspektive: Bleiben sie in Paraguay?

Miguel Fritz

Ganz eindeutig: Ich möchte dort bleiben; es ist mein Zuhause. Nur wenn es die Gesundheit erforderlich machen würde, käme ich wieder zurück. Das ginge aber auch; als Ordensmann kann ich ja überall zuhause sein.