Die Begrenzung des Tötens
„Er kniete sogleich unter dem Messer nieder. Sei Hals passte in ein Loch, das zu diesem Zweck in den Querriegel angebracht war, und wurde von einem anderen Riegel, der sich darüber legte, niedergehalten. Unmittelbar darunter hing ein lederner Sack. Und in diesen rollte der Kopf im nächsten Augenblick. Der Scharfrichter faßte ihn an den Haaren, trug ihn um das Schafott und zeigte ihn dem Volk, dass das Messer dumpf rasselnd niedergefallen war.“
So beschreibt Charles Dickens eine Hinrichtung in den päpstlichen Staaten des Jahres 1845.
Hinrichtung - kein Ausnahmefall
Schon die ersten Rechtskodizes kennen die Todesstrafe – und sind schon ein Akt der Humanisierung. Denn indem die Todesstrafe von der staatlichen Gewalt monopolisiert wurde, schob man der Blutrache ein Riegel vor; in vorstaatlichen Stammesgesellschaften musste die Tötung eines Menschen von seiner Familie gerächt werden – eine Praxis, die zu endlosen gegenseitigen Morden führen konnte. In vielen antiken Gesellschaften entwickelte sich zudem der Grundsatz, dass die Todesstrafe nur für besonders schwere Vergehen verhängt werden durfte und eher gegen Fremde, weniger an den eigenen Bürgern.
Die christlichen Kirchen hatten dabei schon früh ein ambivalentes Verhältnis zur Hinrichtung:
Das Gebot der Feindesliebe war eine Absage Jesu an die Vergeltung. Diese war ein entscheidender Beweggrund für die Todesstrafe, sollte doch der Tod eines Menschen durch den des Mörders gesühnt werden. Theologen wie Origines und Tertullian sprachen sich in der Nachfolge Jesu gegen die Beteiligung von Christen an der Vollstreckung von Todesurteilen aus, stellten diese teilweise sogar grundsätzlich infrage. So votierte noch Augustinus im 4. Jahrhundert gegen die Hinrichtung:
»Damit wollen wir nicht verhindern, dass Übeltätern die Möglichkeit zu Verbrechen genommen wird. Wir wollen, dass sie am Leben und an allen ihren Gliedern unversehrt bleiben und es vielmehr ausreicht, dass sie entweder durch den Druck der Gesetze von ihrer ungesunden Unruhe zu einem gesunden Leben hingeführt werden oder mit irgendeiner nützlichen Aufgabe von ihren bösen Taten befreit werden. Auch das nennt man Verurteilung.“
Freilich: Die Todesstrafe war als staatliches Sanktionselement in den antiken Gesellschaften grundsätzlich akzeptiert. In dem Maße, in dem die Staatsnähe des Christentums zunahm, billigten kirchliche Vertreter die Todesstrafe, soweit sie für den Erhalt der staatlichen Ordnung notwendig war. Dieser Grundsatz hielt sich auch während des Mittelalters und der frühen Neuzeit.
Die Todesstrafe in der Kritik
Während der Aufklärung setzte sich unter den gebildeten Eliten die Vorstellung durch, dass die Todesstrafe als unmenschlich anzusehen sei. Besonders der Sühnegedanke wurde von ihnen abgelehnt. Einige Staaten schafften während des aufgeklärten Absolutismus die Todesstrafe nicht ab, setzten sie aber aus. Als erster Staat des Westens wurde die Todesstrafe im Herzogtum Toskana von Leopold II. 1786 offiziell aufgehoben. 1787 folgte für die zivile Gerichtsbarkeit Kaiser Joseph II. in den Ländern des Hauses Österreich.
Das Verhältnis zur Todesstrafe blieb in den folgenden 150 Jahren in Europa ambivalent: Auf der einen Seite waren es vor allem bürgerliche und demokratische Bewegungen, die für ihre Abschaffung eintraten. Auf der anderen Seite fanden sich nur wenige Staaten bereit, sie grundsätzlich aus den Gesetzbüchern zu streichen. Zudem kam es immer wieder zu Rückfällen: So schaffte Rumänien 1865 die Todesstrafe ab, führte sie aber 1939 wieder ein.
Die Europäische Menschenrechtskonvention von 1953 kannte sie noch. 1983 wurde die Todesstrafe in Friedenszeiten aus der Konvention gestrichen, die Mitgliedsstaaten traten dem bis 1997 vollständig bei. Seit 2002 ist sie auch in Kriegszeiten untersagt.
Exekution im Namen des Papstes
In den päpstlichen Staaten wurde die Todesstrafe noch bis zu deren Untergang 1870 vollzogen. Dass der Papa Re, der Papst als weltlicher Herrscher Hinrichtungen verantwortete, wurde in seiner Ambivalenz wahrgenommen. Zu ihrer Abschaffung konnten sich die Päpste bis zuletzt nicht entschließen, lediglich dazu, die Strafen im Einzelfall umzuwandeln und eine religiöse Betreuung der Verurteilten sicherzustellen.
Für den Vatikan galt seit 1929 das italienische Strafrecht, das die Todesstrafe kannte. Dieser in der Vatikanstadt nie angewandte Paragraph wurde 1969 durch Paul VI. gestrichen.
Der Katechismus der Katholischen Kirche benannte die Todesstrafe noch 1992 als Option in schwerwiegendsten Fällen. 1995 rückte Johannes Paul II. von diesem Punkt insoweit ab, als er erklärte, die Todesstrafe sei praktisch nicht mehr gerechtfertigt. Benedikt XVI. betonte 2007: "Das Leben ist das erste von Gott empfangene Gute und ist für alle anderen von grundlegender Bedeutung. Das Recht auf Leben für alle und auf gleiche Weise für alle zu garantieren, ist die Pflicht, von der die Zukunft der Menschheit abhängt“. Aus dieser Perspektive bedeutet die Heiligkeit des Lebens die Pflicht der menschlichen Gemeinschaften, die Unversehrtheit des Lebens zu sichern. Die Abschaffung der Todesstrafe ist ein Teil dieses Komplexes.
Folgerichtig hat Papst Franziskus die Todesstrafe zusammen mit dem Krieg in seiner Enzyklika Fratelli Tutti verurteilt. Das Argument, die staatliche Ordnung werde durch Hinrichtungen aufrechterhalten, wies der Papst zurück: „Wie ich betonen möchte, ist es unvorstellbar, dass die Staaten heute nicht über andere Mittel verfügen als die Todesstrafe, um das Leben anderer Menschen vor ungerechten Angreifern zu schützen“.
Franziskus ging in seiner Argumentation noch weiter: „Alle Christen und Menschen guten Willens sind daher heute aufgerufen, nicht nur für die Abschaffung der Todesstrafe – ganz gleich, ob diese legal oder illegal ist – in allen ihren Formen, sondern auch für die Verbesserung der Lebensbedingungen in den Gefängnissen zu kämpfen, unter Achtung der Menschenwürde der Personen, denen die Freiheit entzogen ist. Und dies verbinde ich mit der lebenslangen Freiheitsstrafe. […] Die lebenslange Freiheitsstrafe ist eine versteckte Todesstrafe … Denken wir daran: »Nicht einmal der Mörder verliert seine Personenwürde, und Gott selber leistet dafür Gewähr“.
Entsprechend hat der Papst schon 2018 den Katechismus ändern lassen und die Todesstrafe für unzulässig erklärt.
Justice and Peace
Weltweit setzen sich viele Katholiken für die Abschaffung der Todesstrafe ein: sowohl in ihrem eigenen Land wie international. So gehört es etwa zum Mission Statement von Justice and Peace der Oblatenmissionare in den USA, dass sie an Kampagnen teilnehmen oder solche fördern, die sich für die Abschaffung der Todesstrafe einsetzen. So beteiligte sich das Büro Justice and Peace 2011 an einer Kampagne, die erfolgreich für die Aufhebung die Todesstrafe im Bundesstaat Illinois eintrat.
Eine Mehrheit der Menschen lebt unter Gesetzen mit Todesstrafe
Dennoch bildet sie nach wie vor einen gesetzlichen Rahmen für die meisten Menschen. Zwar hat die Mehrheit der Staaten die Todesstrafe mittlerweile abgeschafft – aber die bevölkerungsreichen Staaten Süd- und Ostasiens sowie viele afrikanische Länder kennen sie noch.
In Westeuropa ist die Todesstrafe vollständig abgeschafft. Das einzige europäische Land, indem sie offiziell noch aktiv angewandt wird, ist Weißrussland; in Russland ist sie lediglich ausgesetzt. Im größten westlichen Land, den USA, wird sie hingegen weiterhin vollzogen, allerdings nur noch in der Hälfte der Bundesstaaten.
Die meisten Hinrichtungen gab es 2020 in China – allerdings gibt das Land keine offiziellen Zahlen heraus. Internationale Beobachter rechnen aber mit mehreren tausend Exekutionen. Im Iran gab es 2020 246 Hinrichtungen, in Ägypten 107.
So bleiben Hinrichtungen, wie Papst Franziskus es formuliert „vorsätzliche Morde, die von einigen Staaten und ihren Vertretern begangen werden“.
Fotos
Karte: Kamalthebest, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0