Die Berge gehen mir immer noch durch den Kopf
Vorschau Foto: Peter Steiner (unsplash)
Fokus
Montag, 28. Juli 2025

Die Berge gehen mir immer noch durch den Kopf

Die Antwort habe ich vom ehemaligen Bischof von Innsbruck, Reinhold Stecher, erfahren.
Er ging regelmäßig mit Jugendlichen in die Berge. Er war der Überzeugung: „Jugend braucht rauschhafte Erlebnisse.“ Wer einmal in die Großartigkeit der Bergwelt eingetaucht ist, wird seine Langeweile nicht mit Drogen oder Komasaufen vertreiben.

Ich brauchte weder das Eine noch das Andere zu vertreiben. Und für die rauschhaften Erlebnisse war es für mich ein bisschen zu spät, als ich eher zufällig den Weg in die Berge fand.

Der Einstieg ins Wandern

Ein Mitbruder hat mich im Urlaub mit nach Österreich genommen. Er hatte dort Freunde, mit denen er im Krieg in einer Funkerabteilung gewesen war.

Und weil einer der Freunde ein Schuhgeschäft hatte, bekam ich auch gleich die passenden Schuhe. Passend war zunächst nur die Nummer. Bis man sagen konnte: „Passt schon!“, musste man einige Kilometer gelaufen sein – was meist nicht ohne Blasen abging.

Wandern will gelernt sein

Vom Laufen habe ich gedacht: „Das kannst du.“ Die Einbildung bringt man vom Flachland mit. Von meinem Mitbruder habe ich das Wandern in den Bergen erst richtig lernen müssen. Da braucht man Geduld mit sich selbst. Mit Schnelligkeit sind Ziele nicht gut zu erreichen – es sei denn, man legt es als Profi darauf an.

Von den Profis habe ich allerdings den Verdacht, dass sie die Zeitangaben auf einigen Hinweisschildern eingetragen haben. Meine Zeiten waren da immer erheblich länger, es sei denn, es ging bergab – was natürlich auch nicht jedermanns Sache ist.

Die eigene Geschichte – und die der anderen

Was einem auf langen Wegen in den Bergen durch den Kopf geht, sind ganz eigene Geschichten. Aber nicht unbedeutend sind auch die Geschichten der anderen, die hier gegangen sind.

Ich bin fünf Stunden zu einem Pass aufgestiegen, über den auch die Römer ihre Handelsbeziehungen – und wohl auch ihre Eroberungsabsichten – gepflegt haben.
Man vergisst für Augenblicke die Gegenwart und reiht sich in die Geschichte mit anderen Menschen ein. Das gibt der Welt und dem Leben große Weite und Bedeutung.

Erinnerungen in Stein und Flur

Zur Geschichte der anderen gehört für mich auch die Wanderung zum Knappenhaus, das von einer Lawine zerstört wurde.

Über viele Jahre wurde hier Erz und Gold gefördert. Vielen gab das Arbeit, wenige wurden reich. Aber die Natur hat es arm gemacht, weil der Baumbestand fast völlig aufgebraucht wurde für das Verhütten der Bodenschätze.

Sehr betroffen hat mich die Geschichte der anderen gemacht, die in meinem Urlaubsgebiet heimatlos ihres Glaubens wegen vertrieben wurden. Sie fanden eine neue Heimat im damaligen Preußen. Aber in der alten Heimat gibt es Erinnerungsorte, die zu bestimmten Gelegenheiten von den Nachfahren der Vertriebenen besucht werden. Für nicht wenige Einheimische ist die Erinnerung noch aufgehoben in dem Flur ihres Hauses, wo die Namen der damaligen Besitzer auf der Wand eingetragen sind.

Eine stille Kraft

Urlaub in den Bergen bedeutet Wandern – aber vielleicht noch mehr: Schauen.
Es ist nicht immer so wie im Flachland, wo man den Besuch schon auf Kilometer weit kommen sieht. Aber wenn du vom Tal auf den Gipfel steigst, wirst du still vor Staunen.
Dir wird der Blick auf die Welt geschenkt, die der Teufel im Evangelium an Jesus verschachern wollte.

Begegnung am Gipfel

Das Erlebnis der Berge hat eine stille Kraft, Menschen miteinander zu verbinden.

Ich erinnere mich an eine Tour zur Türchlwand. Zwei Stunden lang habe ich keinen Menschen gesehen. Eine Spur vor mir war relativ frisch, aber sie führte auch schon zurück. Dabei hätte ich mich gefreut, jemanden vor mir auf dem Berg oder unterwegs zu treffen.

Nach fast einer Stunde auf dem Gipfel hörte ich Stimmen. Leute kamen in der schmalen Spur den Berg hinauf. Am Gipfel redeten wir miteinander über die wichtigen Banalitäten oder banalen Wichtigkeiten des Weges.

Der Mann meinte: „Wenn ich Sie nicht oben gesehen hätte, wäre ich an einer kritischen Stelle umgekehrt. Wenn einer oben ist, dann hat das so eine symbolische Kraft oder Wirkung.“ Er sagte genau, was ich mir vorher auch gewünscht hatte: dass außer mir noch ein Mensch da sein möge.

Eine Welt für mich allein wäre unerträglich – wenngleich ich nicht leugne, dass ich die Einsamkeit oder das Übergewicht bloßer Natur schätze.

Heimweh nach den Bergen

Wenn ich heute meinen Urlaub plane, frage ich mich: Warum nicht wieder in die Berge?

Im Kopf laufen dann all die Bilder ab, die im Lauf vieler Jahre den Reiz der Berge ausgemacht haben. Aber alles hat seine Zeit. Im Traum kann ich die Wege alle noch laufen – aber in Wirklichkeit will das nicht mehr so recht gehen. Aber es bleibt dann immer noch so eine richtig große Sehnsucht.

Und das fühlt sich wirklich an wie Heimweh.