„Hoffnung ist der Motor“
Pfarrer Andreas Unfried lächelt: In St. Ursula gibt es nicht nur innovative Projekte, sondern auch weiterhin ein stabiles Angebot für den normalen Gottesdienstbesucher. Die Pastoralreferentin Susanne Degen pflichtet ihm bei: „Gute Seelsorge, guter Gottesdienst, das schenke nach wie vor vielen Menschen Kraft, Mut und Hoffnung.“
Doch neben der klassischen Pastoral hat die Pfarrei zahlreiche Projekte entwickelt, die ihre Basis in einer gemeinsamen Vision finden. Die Idee dafür brachten Unfried und Pastoralreferentin Susanne Degen von einer Exkursion auf den Philippinen mit. Vor einigen Jahren organisierte das Bistum Limburg zahlreiche solcher Exkursionen in Deutschland und in die Weltkirche, um neue Erfahrungen mit unterschiedlichen Konzepten von Kirche-Sein zu machen.
Denn die Kirche in Deutschland befindet sich seit Jahren im Umbruch. Es gibt viele Sparzwänge; Gemeinden werden immer größer; das pastorale Personal eher weniger ebenso wie die Gottesdienstbesucher. Die Exkursionen sollten Haupt- und Ehrenamtliche dabei unterstützen, diesen Prozess positiv zu gestalten.
Ihre Vision hat die Gemeinde St. Ursula in zwei Büchern festgehalten
Andreas Unfried (Hg.): XXL-Pfarrei – Monster oder Werk des Heiligen Geistes? Echter Verlag
Andreas Unfried, Susanne Degen (Hg.): XXL-Pfarrei – Wie Menschen Kirche entwickeln Echter Verlag
Der Ausgangspunkt
„Die Zeit war reif und wir haben zugegriffen,“ so Elke Peglow, Pastoralreferentin der Pfarrei. Dem Visionsprozess vorangegangen war eine Phase der Entmutigung, so Unfried. Der Zusammenlegungsprozess der verschiedenen Gemeinden in eine Pfarrei neuen Typs war für viele auch überfordernd. Einige Ehrenamtliche hatten das Gefühl: „Eigentlich können wir den Laden auch gleich zusperren.“ Unfried und sein Team haben sich dann entschlossen: „Wir ziehen den Prozess der Pfarreiwerdung durch und versuchen dann, in diesem Raum neue Impulse zu entwickeln.“
Auf den Philippinen begegneten Unfried und Degen Gläubigen, die gemeinsam einer Vision folgten, wie Kirche sein könnte. Natürlich ließ sich das nicht eins zu eins nach Oberursel übertragen. Aber die Idee eines Visionsprozesses packte die beiden. Gemeinsam entschlossen sich das Team und die Gremien von St. Ursula, sich auf den Weg zu machen – ohne zu wissen, wo es hingehen würde.
Sie starteten mit hunderten Befragungen. Mit einem flexiblen Fragebogen wurden 350 Interviews geführt, protokolliert und verschlagwortet. Die Ergebnisse wurden auf einem Visionstag besprochen, an dem 200 Gläubige teilnahmen. Daraus entstanden die acht Grund-Verben, die heute das Gerüst für die gemeinsame Vision bilden.
Durch den Visionsprozess haben viele Menschen die Erfahrung gemacht: „Ich kann Kirche mitgestalten.“ Und auch Gläubigen, die neu in die Pfarrei hinzugekommen sind, dienen die Grundverben der Vision als Anker, um die Pfarrei zu verstehen und sich zu orientieren.
Ich werde sonst nie so freudig begrüßt wie mit dem Straßenkreuzer.
An die Ränder mit dem Straßenkreuzer
Durch die Vision gewann die Pfarrei auch neue Perspektiven, Projekte anzugehen, die außerhalb der klassischen Pastoral liegen, um Menschen anzusprechen, die mit Kirche sonst nichts zu tun haben.
Ein Beispiel dafür ist der Straßenkreuzer. Es ist ein kleiner, dreirädriger Lastwagen, auf den eine hochwertige Kaffeemaschine montiert wurde. Damit schafft die Gemeinde einen Ort der Begegnung, der beweglich ist, damit möglichst viele in der räumlich großen Pfarrei sich dort treffen können. So kann der Straßenkreuzer dort sein, wo Kirche sonst nicht hinkommt – etwa auf Spielplätze oder Wochenmärkte. Dort wird nicht nur Kaffee ausgeschenkt, sondern es gibt auch viel Zeit für Gespräche.
Natürlich kann man fragen: „Welchen Mehrwert bietet das der Pfarrei?“ so Peglow. Doch am Straßenkreuzer Menschen zu begegnen, mit ihnen zu sprechen und ihnen Freude zu schenken, das ist laut Peglow nicht wenig. „Ich werde sonst nie so freudig begrüßt wie mit dem Straßenkreuzer.“
Der Straßenkreuzer fährt seit acht Jahren durch die Pfarrei. Und das Team wächst jedes Jahr. Das Leitungsteam besteht aus acht Leuten, die nicht alle hauptamtlich sind. Etwa 40 Leute engagieren sich, davon 25 sehr regelmäßig. Meistens gelingt es auch, jede angekündigte Fahrt vorzunehmen, obwohl man drei Leute pro Einsatz braucht. „Das ist beachtlich,“ findet Peglow, denn es gebe insgesamt über 100 Einsätze pro Saison, die von April bis Oktober reicht.
Inklusive Schlagerparty „bei uns im Kulturcafé“
Ein anderes Projekt ist das Kulturcafé Windrose, ein Kooperationsprojekt zwischen Stadt, Vereinen der Zivilgesellschaft aus Oberursel und katholischer Kirche. Natürlich seien Kooperationen herausfordernd, so Susanne Degen. „Wir als Pfarrei haben keinen Einfluss auf die Betriebsführung.“
Dennoch möchte die Pfarrei dort Aktionen mitgestalten und bringt sich bei den über 100 Events ein. Diese Vielfalt begreift Degen als Chance. Denn es kommen ganz unterschiedliche Menschen in dem Café zusammen, denen die Kirche dort begegnen kann. So gab es etwa eine inklusive Schlagerparty oder ein Trauergespräch auf der Bühne.
Das bringt auch Grenzen mit sich. Es sei unklar, wie weit die Leute in der Stadt Oberursel das Kulturcafé mit der Kirche in Verbindung bringen oder die Themen dort als Themen der Kirche wahrnehmen. In der Pfarrei freilich gebe es schon eine gewisse Identifikation mit dem Kulturcafé; „das findet doch bei uns im Kulturcafé statt,“ so wurde Degen das ein oder andere Mal von Mitgliedern der Gemeinde angesprochen.
Ich sehe es als Abenteuerreise mit dem Heiligen Geist.
Sorgen und Hoffnungen
Das ist nötig. Denn natürlich macht man sich auch in St. Ursula über die Zukunft Sorgen. Man könne noch nicht absehen, wie die Gestalt von Kirche und Pfarrei in 20 oder 30 Jahren aussehen werde. Doch bleibt, so Pastoralreferent Christof Reusch, „Hoffnung der Motor.“
Elke Peglow gibt es Hoffnung, auf Menschen zuzugehen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Natürlich höre sie dabei auch viel Kritik an der Kirche, und in manchen Zeiten sei es auch schwierig, sich dem zu stellen. Aber für sie sei es wichtig, noch in den Spiegel schauen und Wert für andere ermöglichen zu können. Dabei sei die gemeinsame Vision hilfreich. Auch, wenn dabei manche Gläubige verloren wurden, zu denen die Pfarrei nicht mehr passte.
Auf der anderen Seite sei die Pfarrei dadurch mit neuen Leuten in Kontakt gekommen. Peglow ist es wichtig zu betonen: „Die, die noch kommen, das ist die Minderheit der Kirchenmitglieder in der Pfarrei.“
Für Susanne Degen ist der Visionsprozess auch deswegen hoffnungsvoll, weil es Energien freisetze, etwas Neues zu gestalten. So gebe es ihr Hoffnung, wenn es gelänge, Nachfolge und Gottes Nähe in Einklang zu bringen.
Für Unfried sind die 14 Jahre in Oberursel bislang die spannendsten seines Priesterlebens. „Ich sehe es als Abenteuerreise mit dem Heiligen Geist.“ Auf diese Reise gehe vieles tastend voran, mitunter stolpert und scheitert man auch. „Aber wir probieren es.“ Auch Degen betont, es sei noch nicht absehbar, was aus den aktuellen Projekten in den nächsten Jahren werde. Aber das sei ja auch nicht alles ihre Entscheidung. „Wir stellen das Fass auf, ob es regnet, das liegt nicht an uns.“