Eugen von Mazenod – Der Vater seiner Oblaten
Wer die Briefe Eugens von Mazenod liest, dem fällt eines auf: Wenn er über seine Oblaten spricht, dann nennt er sie immer wieder seine „Kinder“, sich selbst beschreibt er als ihren „Vater“.
Das könnte man als Floskel auffassen oder als Geist der Zeit im südlichen Frankreich, wo man kräftige Sprachbilder liebte.
Aber: Eugen schrieb so nicht leichtfertig. Er verband mit Wörtern wie „Vater“, mit seinen „Kindern“ und „Söhnen“ klare Vorstellungen, deutete von dorther Rollen, Eigenschaften und Anforderungen. Eugen zeigt damit, wie er über sein Verhältnis zu seiner Gründung und ihren Mitgliedern stand.
„Vater einer großen Familie“
Schon kurz nach der Gründung der Gemeinschaft fasste Eugen seine Gedanken in einem Satz zusammen, der für den Rest seines Lebens prägend bleiben sollte: „Gott hat mich berufen, Vater einer großen Familie zu werden.“
Eugen war sich bewusst: Die Gründung der Gemeinschaft war nicht sein Verdienst, sein Werk – sondern kam von Gott. Er selbst begriff sich als „unwürdiges Werkzeug“ Gottes, wie Fabio Ciardi in seiner Biographie Ein Charisma der Mission und der Gemeinschaft schreibt.
Das definiert den Charakter von Eugens Vaterschaft: Er hat sie nicht für sich, sondern er hat sie, weil er eine Mission zu erfüllen hat „die Gott mir gegeben hat“. Die Vaterschaft Eugens seinen Oblaten gegenüber ist daher Teilhabe an der Vaterschaft Gottes.
Dafür sah sich Eugen entsprechend ausgestattet: Gott habe ihm „eine Teilhabe an der Unermesslichkeit seiner Liebe zu den Menschen“ gegeben. Diese Gabe „entspringt aus einem seiner schönsten Attribute, und ich wage begründet zu glauben, dass er es niemanden in der Weise gewährt hat wie mir“.
Nur Eugen war Generaloberer und Gründer
Daraus folgt, bei aller Demut: Eugen sprach seiner Vaterschaft einen exklusiven Charakter zu.
Er unterschied seine Rolle von der Beziehung der Hausoberen zu den Mitgliedern der Häuser. Diese wollte er durch „Bruderliebe“ gekennzeichnet sehen. Das Verhalten eines Sohnes hätten die Oblaten aber nur ihm entgegenzubringen – als Generaloberen und als Gründer.
Er sah sich daher als einziger Vater seiner Gemeinschaft. Er allein habe die Oblaten gezeugt, so habe er auch das Recht auf die Anerkennung einer besonderen Vaterschaft.
Ciardi schreibt dazu: „Folgt man seinen Briefen, dann ist es der Stifter selbst, der in ein Leben nach dem Evangelium und in die spezifische Form der Nachfolge einführt, zu der er selbst durch den Heiligen Geist berufen wurde. Daher kann ein Ordensgründer behaupten, dass er das Leben gibt, weil er in das Evangelium, das Wort des Lebens, einführt und eine besondere Beziehung zu Christus vermittelt, der das Leben ist.“
„Sie können mich nie mit einem hundertstel von der Liebe lieben ..“
Entsprechend diesem Anspruch spürte Eugen eine charakteristische Liebe zu seinen Missionaren: „Ich liebe meine Söhne unermesslich mehr als irgendeine menschliche Person sie lieben könnte ...“
Der Stifter ging zudem davon aus, dass diese geistliche Liebe, die er seinen Söhnen gegenüber empfindet, von diesen nicht in gleichem Umfang erwidert werden konnte. So schrieb Eugen an P. Henri Faraud: „Sie können mich nie mit einem hundertstel von der Liebe lieben, die ich zu Ihnen trage. Gott, der mich berufen hat, Vater einer großen Familie zu werden, hat mich nun mal so geschaffen, und er lässt mich an der Unendlichkeit seiner Liebe an den Menschen teilnehmen.“
Daraus leitete Eugen Ansprüche seinen Missionaren gegenüber ab: So missfiel es ihm, wenn die Oblaten in der Ferne ihm teilweise jahrelang nicht schrieben, sodass er keine Kenntnisse über sie hatte. So klagte er:
„Das dürfte doch in einer Familie wie der unsrigen nicht anzunehmen sein, besonders nicht, wenn der Vater noch lebt, der Euch alle zum Leben der Vollkommenheit geboren hat in der Heiligen Familie, deren Zierde Ihr seid ...“
„Das habe ich sonst nirgends gefunden“
Für Eugen ist diese Liebe ein besonderes Charakteristikum seiner Gemeinschaft:
„Jedoch diese mehr väterliche Liebe, die das Haupt zu den Mitgliedern der Familie hat, diese herzliche Entsprechung der Mitglieder zu ihrem Haupt, die zwischen ihnen eine Beziehung aufbaut, die vom Herzen kommt und die wahre Familienbande zwischen uns prägt – Vater zum Sohn, Sohn zum Vater – das habe ich sonst nirgends gefunden“, schreibt er mit Blick auf andere Ordensgemeinschaften.
Leidenschaft des Vaters
Diese Sprache klingt mitunter hochtrabend, ja, arrogant. Und so konnte der Stifter auch wirken, wie seine Biografen feststellen.
Freilich: Eugen begriff seine Stellung nicht nur als Privileg, sondern war von echter Leidenschaft gegenüber seinen „Kindern“ erfüllt.
So erschütterte ihn der Tod eines Oblaten häufig sehr. So nahm ihn der Tod von P. Marie-Jacques Suzanne Ende Januar 1829 so schwer mit, sodass er gegenüber P. Courtes noch am 19. Februar schrieb: „ich verschließe mich nicht den Tröstungen, die der heiligmäßige Tod dieses allzu lieben Kindes einem christlichen Vater bereitet; aber die immer noch blutende Wunde kann nicht heilen, nicht einmal durch übernatürlichen Balsam. Ich habe täglich mein Kind vor Augen, gerade so, wie ihn die Gnade in seiner letzten Krankheit geformt hat ...“
„mein lieber Vater“
Der Anspruch Eugens gegenüber seinen Oblaten scheint dabei auf Widerhall gestoßen zu sein.
So sprach ihn etwa Tempier in seinem Brief zur Bestätigung der Regel als „mein lieber Vater“ an.
Bezeichnend ist auch die Szene am Sterbebett Eugens: „Ihr werdet immer, im Himmel wie auf der Erde, unser Vater, ja unser geliebter Vater sein, nicht wahr?“ fragten seine Oblaten den Stifter.
Gewiss war der Anspruch Eugens nicht von frei von Ambivalenz, auch nicht frei von Stolz und Arroganz. Doch scheint Eugen, das zeigen die letzten Zeilen, die Spannung, die im so einzigartigen Verhältnis von „Vater“ und „Kindern“ liegt, nicht nur ausgehalten zu haben – er hat sie auch in eine segensreiche Wirkung entfaltet.