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Orientierung
Donnerstag, 19. Mai 2022
Die katholische und die orthodoxen Kirchen

Kirchen in gemeinsamer Verschiedenheit

Wir dürfen nicht zulassen, dass die Traditionen im Sinne eines kulturellen Erbes gegenüber der Tradierung der Botschaft Jesu die Oberhand gewinnen“, mahnte Papst Franziskus, als er im vergangenen Dezember die Führung der orthodoxen Kirche von Zypern traf. Mit Blick auf die Ökumene zwischen beiden Konfessionen erläuterte er weiter: „Jeder wird seine eigene Art und seinen eigenen Stil beibehalten – das ist verständlich –, aber mit der Zeit wird unsere gemeinsame Arbeit mehr Harmonie schaffen und sich als fruchtbar erweisen.“

Die innerchristliche Ökumene steht je nach Partner vor sehr unterschiedlichen Voraussetzungen: Mit den protestantischen Gemeinschaften teilt sich die katholische Kirche eine längere gemeinsame Geschichte und eine westliche Prägung, zugleich sind beide Gemeinschaften durch die Abstoßung des jeweils anderen geprägt worden. Mit den orthodoxen Kirchen ist die Entwicklung ganz anders verlaufen. Sie führt an die Ursprünge des christentums.

Vier Kulturen, ein Christentum?

Das Christentum entstand als eine Religion im Römischen Reich. Dort prägte es sich in vier Kulturlandschaften hinein, die nach wie vor für seinen charakter und seine Traditionen prägend sind: der lateinisch geprägte Westen des Römischen Reiches, der griechische Raum, Syrien und Ägypten. Aus ihnen entwickelten sich die lateinischen, die orthodoxen, die orientalischen und die koptischen Kirchen.

Die Traditionen in diesen Kulturräumen waren grundsätzlich gleichwertig, denn sie konnten sich alle bis in die Zeit der Apostel zurückführen. Augenfällig wurde das in den fünf Patriarchaten, die sich grundsätzlich als gleichrangig anerkannten: Die Bischofssitze von Rom, Alexandria und Antiochien hatten schon in den ersten Jahrhunderten eine Sonderstellung inne; ihr Einfluss reichte weit über ihre eigenen Gemeinden hinaus. Als sich dieser Einfluss unter dem Namen Patriarchat verdichtete, traten noch zwei weitere Bischofssitze hinzu: Jerusalem, da es an der ehrwürdigsten Stätte lag; und Konstantinopel, das seit seiner Gründung durch Kaiser Konstantin im 4. Jahrhundert das Zentrum der Macht war. Und wo die Macht lag, das wurde für das christentum seit eben diesem Jahrhundert zu einer Schlüsselfrage.

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Ein Reich, ein Christentum

Unter welchen Voraussetzungen jemand christ ist, diese Frage bewegte schon die Apostel. Und sie wurde auch in den folgenden Jahrhunderten immer wieder thematisiert. Die Diskussionen wurden zwischen den Theologen und den Häuptern der einflussreichsten Gemeinden geführt, die durch das dichte Netz aus Straßen und Seeverbindungen des Römischen Reiches miteinander verbunden waren und so eine römisch-christliche Kommunikationsgemeinschaft bildeten.

Im 4. Jahrhundert kam es zu einem entscheidenden Einschnitt: Auf dem Konzil von Nicäa (325) wurde erstmals ein Bekenntnis von einer Versammlung der Bischöfe erlassen, das durch Befehl Kaiser Konstantins zum Reichsgesetz wurde: Konstantin wollte ein Reich mit einem christentum. Dieses Glaubensbekenntnis, erweitert auf dem Konzil von Konstantinopel (381) und festgeschrieben auf dem Konzil von chalkedon (451), bildet heute die Grundlage, über die sich fast alle christen verständigen können. Das hängt aber nicht damit zusammen, dass ihm von Beginn an alle christen zu zugestimmt hätten; sondern daran, dass die meisten Kirchen, die es ablehnten, mittlerweile untergegangen sind.

Viele Christentümer ohne reich

Die Trennung in Kulturräume und ihre ganz unterschiedlichen Traditionen wurde durch den Islam befördert: Syrien und Ägypten wurden von den Muslimen erobert. Damit wurden sie aus der bisherigen reichs-römischen Kommunikationsgemeinschaft des christentums herausgesprengt.

Es blieben noch der griechischsprachige Kulturraum, der sich zum byzantinischen weiterentwickelte und der lateinische Westen. Der wurde seit dem 5. Jahrhundert von immer neuen germanischen Völkern umgewälzt. Aus der Zeit der Völkerwanderung ging mit dem Frankenreich schließlich eine neue Vormacht im Westen hervor. Diese lehnte sich spirituell an den Papst an, der sich politisch an den Karolingerkönigen orientierte; damit löste sich der römische Bischof vom oströmischen Kaiser.

Die durch politische Umbrüche und sprachliche Differenzen schon schwer beschädigte römisch-christliche Kommunikationsgemeinschaft fiel in den kommenden zwei Jahrhunderten endgültig auseinander.

Der große Bruch?

Das morgenländische Schisma im 11. Jahrhundert setzte einen scheinbaren Schlusspunkt unter diese Entwicklung: Die beiden Patriarchen exkommunizierten sich gegenseitig. Zu groß waren die Differenzen, zu tief die Rang- und Machtstreitigkeiten. Sie hatten sich theologisch nichts mehr zu sagen.

Doch: Das Schisma war schon im Mittelalter Stachel im Fleisch der christenheit. Seit dem 13. Jahrhundert unternahmen Lateiner und Byzantiner immer wieder Anläufe, um aufeinander zuzugehen. Doch der römische Bischof hatte durch den Niedergang des Oströmischen Reiches mittlerweile die besseren Karten, und er spielte sie aus: Konstantinopel sollte sich dem Papst unterwerfen. Das geschah auch. Mehrfach. Doch kündigten die byzantinischen Delegationen kaum nach Hause zurückgekehrt, wegen des Widerstandes des Klerus und des Volkes die Union wieder auf.

Rom blieb auch in der Neuzeit seiner Linie treu und hatte im 16. Jahrhundert erste langfristige Erfolge: Aus Gesprächen mit Minderheiten der orthodoxen und orientalischen christentümer entstanden die unierten Kirchen. Sie un - terwarfen sich dem Primat des Papstes, dafür wurde ihre Tradition anerkannt. Dieses Vorgehen konnte für den Großteil der anderen Kirchen aber keine Gesprächsgrundlage sein. Erst im 20. Jahrhundert überwand man die gegenseitige Sprachlosigkeit.

Eine neue Sprache finden

Am 7. Dezember 1965 hoben die Patriarchen von Rom und Konstantinopel die wechselseitige Exkommunikation auf. Das Zweite Vatikanische Konzil hatte die Tür für diesen Prozess geöffnet; Konstantinopel, geschwächt durch die Repression durch den türkischen Staat auf der Suche nach einer neuen Rolle als Oberhaupt der Weltorthodoxie, war hindurchgegangen.

Regelmäßige gegenseitige Besuche der beiden Kirchenoberhäupter bilden seitdem die Grundlage für den Dialog, der eine neue Kommunikationsgemeinschaft schaffen soll. Freilich, die ist belastet: durch die unterschiedlichen Traditionen und durch über 1000 Jahre, in denen nur ein punktueller Austausch stattfand und in denen sich die Lehren auseinander entwickelt haben. Die alte Einheit, soweit es sie je gegeben hat, ist verloren gegangen. Die Zukunft wird zeigen, wie die alten christentümer zueinander finden.

Fotos:

Header Bild: Nir Hason, Wikimedia Commons

Karte: fond de carte de ColdEel, Wikimedia Commons

Johannes VIII.: Benozzo Gozzoli, Wikimedia Commons