Braucht es den Sonntag noch?
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Freitag, 6. September 2024

Braucht es den Sonntag noch?

Wer nach Israel reist, kann dort den Sabbat-Modus in Fahrstühlen erleben: Die Aufzüge halten an jeder Etage automatisch, aber nur am Sabbat. Denn an diesem Tag dürfen Juden kein Feuer machen. Bei einem elektrischen Vorgang wie dem Betätigen eines Knopfes könnte aber ein Funke entstehen, also würde man Feuer machen.

Was den Juden der Sabbat ist, das ist den Christen der Sonntag. Sagt man gemeinhin. Aber das Beispiel des Sabbat-Aufzugs zeigt: An den besonderen Charakter des Sabbats reicht der christliche Sonntag nicht heran. Dabei ist dieser Tag auch für die Christen wichtig: Nicht nur, weil man da am häufigsten den Gottesdienst besucht – wenngleich das für die überwiegende Mehrzahl der Gläubigen schon lange nicht mehr gilt. Für die meisten ist es wichtiger, dass sie sich an diesem Tag anderen Dingen als der Arbeit widmen können, etwa Zeit mit der Familie verbringen. Was so traditionell klingt, ist dabei eine relativ neue Erscheinung.

Niemals ein freier Tag für alle

Jahrtausendelang lebte die Mehrheit der Bevölkerung von der Landwirtschaft. Das galt auch für Europa bis ins 19. Jahrhundert. Damit gibt der Rhythmus von Natur und Wetter den Arbeitstakt vor: Das Vieh will jeden Tag versorgt werden, und wenn die Ernte ansteht, steht die Ernte an.

Oder die Hausangestellten, die in den Häusern der gehobenen Schichten für Ordnung und Komfort sorgten: Sie durften sonntags häufig nicht mal zur Messe, damit die Herrschaft nach dem Kirchgang schon alles für das Mittagessen bereitet fand. Von arbeitsfreien Tagen ganz zu schweigen.

Was bedeutet das überhaupt: arbeitsfrei? – doch eigentlich nur frei von Erwerbsarbeit. Die Kinder wollen sieben Tage die Woche bespielt, die pflegebedürftigen Eltern immer versorgt werden – Care-Arbeit nennt man das heute. Und den Sonntagsbraten muss auch jemand in den Ofen schieben.

Mehr Flexibilität gewünscht

Denn mit dem Wirtschaftswunder der 1950er-Jahre wuchs die Bedeutung des Sonntags als Tag des Konsums. Zudem wird die Gesellschaft individueller: Ein Tag für alle, an dem fast alle gezwungen werden, nicht zu arbeiten – das erscheint manchen daher nicht mehr zeitgemäß. Denn der Sonntag bringt auch Einschränkungen mit sich.

In meiner Jugendzeit war es noch üblich, dass man sich beim Bäcker am Sonntag keine Brötchen holen konnte – der Toaster half da aus. Das ist heute anders, frische Brötchen gibt es sieben Tage die Woche. Aber dennoch: Alles kaufen, was man möchte, das geht am Sonntag nur im Internet. Viele empfinden das als unpraktisch, denn jetzt hätten sie mal Zeit zum Shoppen.

Bei manchen entsteht durch die Entkopplung von Arbeitsort und Arbeitszeit zudem der Drang, jederzeit der Arbeit nachgehen zu wollen – auch am Sonntag.

Ein weiterer Aspekt: Deutschland wird immer weniger christlich, immer mehr Menschen gehören einer anderen Religion an und haben daher andere Ruhetagsbedürfnisse. Für Muslime wäre der Freitag als Ruhetag praktischer.

Ein Takt für die Gesellschaft

Dabei gibt es gute Gründe für einen arbeitsfreien Sonntag für (fast) alle:

Man muss diesen etwa nicht verhandeln. In den USA sind Arbeitgeber zwar verpflichtet, auf religiöse Bedürfnisse ihrer Angestellten Rücksicht zu nehmen. Aber im Zweifel muss man den arbeitsfreien Sonntag einklagen. Dadurch, dass (fast) alle frei haben, ergibt sich die Möglichkeit, besser zu planen: Ehepartner sind gemeinsam zu Hause, die Kinder müssen nicht in die Schule, Großeltern oder Freunde haben ebenfalls Zeit für gemeinsame, schöne und erholsame Aktivitäten.

Denn eines ist klar: Erholung ist ein Grundbedürfnis des Menschen. In einer Zeit, da die Erholung nicht mehr durch die Natur vorgegeben wird, muss die Gesellschaft diesen Rahmen stellen – so wird der Sonntag noch wichtiger als früher.