Deutschland, Paraguay, Rom
Ein deutscher Missionar in Paraguay, Provinzial, Mitglied der Generalverwaltung der Oblatenmissionare und Generaloberer. 18 Jahre Paraguay, 18 Jahre Rom. Und anstatt ab 2010 langsam in den Ruhestand zu gehen, wurde er für 9 Jahre Bischof in Paraguay. Das Leben von Bischof Wilhelm Steckling ist reich an Wendungen.
Über sein bewegtes Leben berichtet er dem WEINBERG.
Heinz Wilhelm Steckling OMI (* 23. April 1947 in Verl) wurde 1947 in Verl (Nordrhein-Westfalen) geboren. 1967 legte er seine ersten Gelübde ab. Am 20. Juli 1974 wurde er zum Priester geweiht. Ab 1974 wirkte er in Paraguay. Von 1986 bis 1992 war er Provinzial. Von 1992 bis 1998 war er Mitglied der Generalverwaltung der Oblaten in Rom, bevor er 1998 auf dem Generalkapitel zum Generaloberen gewählt wurde. 2010 kehrte er nach Paraguay zurück. Er war seit 2010 Rektor des Priesterseminars der Oblaten in der paraguayischen Hauptstadt Asunción. Papst Franziskus ernannte ihn 2014 zum Bischof von Ciudad del Este. Am 19. Dezember 2023 nahm Papst Franziskus seinen altersbedingten Rücktritt an.
Vor 60 Jahren sind Sie in die Gemeinschaft der Oblatenmissionare eingetreten. Was hat Sie damals bewegt?
Ich habe die Oblaten in meiner Heimatpfarrei bei einer Volksmission kennengelernt. Damals war ich 13 oder 14 Jahre alt. Einer der Patres kam noch zu uns ins Haus, wegen eines Krankenbesuches für meine Großmutter. Der Pater hat dann den Kontakt zu mir gehalten. Als für mich feststand, dass ich Oblate werde wollte, bin ich nach Borken auf das Internat der Gemeinschaft gewechselt.
Was mich an den Oblaten beeindruckte, war die lebendige Predigt; da wurde alles besser erklärt. Daraus entstand in mir der Wunsch, mehr zu wissen über den Glauben. Kurz nach dem Krieg wurde der bei uns schon sehr intensiv gelebt; vieles an der Sprache war mir aber unverständlich. Ich dachte, bei den Oblaten finde ich Antwort auf meine Fragen.
Im Laufe der Zeit gewann das Bild meiner Berufung für mich Konturen: Ich wollte da mitarbeiten, wo Not am Mann ist. Ich wollte etwas in meinem Leben machen, was Sinn hat; für Menschen da sein, die ärmer dran sind als ich. Meine Mutter hat mich damals unterstützt – obwohl ich Einzelkind war. Auch mein Vater hat dann zugestimmt. Sie kamen noch aus der Erfahrung des Krieges, wo viele Menschen gestorben sind für ein Unrechtsregime. Sie haben sich gesagt: Wieso sollten wir unseren Sohn nicht hergeben für ein Ziel, das wirklich wichtig ist. Ich habe immer sehr viel Unterstützung von ihnen, meiner Familie und meiner Heimatgemeinde erfahren.
Als Missionar sind Sie Paraguay gegangen. Wie kam es, dass Sie in die Mission nach Südamerika gesandt wurden?
Zur Zeit des Theologiestudiums hatten wir viele Fragen an unsere Ausbildung. Wir haben es erreicht, dass wir ein Pastoraljahr machen durften vor den Ewigen Gelübden – damit wir uns besser entscheiden konnten. Ich kam nach Freiburg, wo ich für die spanische Mission eingeteilt wurde, die es dort gab. Dabei habe ich etwas Spanisch gelernt. Ich bin dann von Mitbrüdern aus Paraguay angesprochen worden, ob ich nicht dorthin gehen wollte. Ich habe mir gedacht, ich bleibe dort ein paar Jahre. Da kann ich nützlich sein. Ich bekam meine Erstobedienz für Paraguay, darum hatte ich den Generaloberen gebeten. Im Juli wurde ich zum Priester geweiht, im September war ich dort.
Wie haben Sie ihre Arbeit dort erlebt?
Die Arbeit in Paraguay war natürlich etwas Neues: Die Kultur war anders, das Klima auch.
Ich habe damit angefangen, Leute zu besuchen und die zweite Landessprache zu lernen, Guarani. Nach einem halben Jahr ging es aufs Land, ca. 200 km weit weg von der Hauptstadt. Die Region wurde damals gerade besiedelt. Die Menschen dort besaßen schon eine Grundlage im Glauben, viele waren franziskanisch geprägt. Wichtiger Teil meiner Arbeit war und blieb die Ausbildung der Katecheten in den Gemeinden, die den engen Kontakt zur Bevölkerung hatten.
Wenn wir raus in die Gemeinden gefahren sind, waren wir immer manchmal zu zweit unterwegs. Meistens waren wir ein paar Tage weg. Wir hatten in meiner Pfarrei 92 Kapellen über ein Gebiet von ca. 50 x 30 km. Da konnte man natürlich nicht jeden Tag überall vor Ort sein und jeden Sonntag überall eine Messe halten. Das war eine ganz andere Situation als zu Hause.
Ich habe gelernt: Das Wichtigste ist nicht, was ich selber tue. Das Wichtigste ist, dass ich die Leute begleite, die vor Ort sind.
Sie waren ab 1992 Mitglied der Generalverwaltung und zwischen 1998 bis 2010 Generaloberer. Welchen Blick auf die Weltkirche haben Sie in dieser Zeit gewonnen? Wie war es für Sie, Oberer einer weltweiten Gemeinschaft zu sein?
Wenn man die Mitbrüder vor Ort besuchen kann, dann hat man relativ schnell die Möglichkeit, sich in der weltweiten Gemeinschaft zu orientieren. Uns Mitgliedern der Generalverwaltung wurde immer wieder gespiegelt, wie es wichtig ist, dass in Rom Leute sind, die sich für die Mitbrüder vor Ort interessieren.
Ich kannte schon Deutschland und ich kannte Paraguay. Dann habe ich gelernt: Kirche sein geht noch mal anders. Es gibt zum Beispiel viele Formen, wie sich die Menschen in der Kirche betragen: An vielen Orten ist es sehr laut vor der Messe; die Art, wie man sich kleidet, ist unterschiedlich; in Afrika wird viel getanzt. Trotzdem spürt man den gleichen Geist Gottes.
Es gibt auch Symbole, die nicht an allen Orten genutzt werden können: etwa die Regenbogenflagge. Die steht hier in Europa für Toleranz und Respekt. In Paraguay können wir etwas mit diesen Werten anfangen. Aber die Flagge wird dort als Ausdruck eines ideologischen Kolonialismus wahrgenommen.
Wie hat sich die Gemeinschaft in dieser Zeit entwickelt?
In meinen 18 Jahren in Rom hat sich die Gemeinschaft sehr verändert. Anfang der 90er-Jahre war das Land mit den meisten Oblatenprovinzen Kanada. Frankreich hatte noch drei Provinzen. Damals dominierte noch die duale Struktur Heimat und Mission. Die Heimat Europa und Nordamerika sandte Missionare in die Welt hinaus. Das hat sich total verändert. Ich sehe heute viele Mitbrüder aus den Ländern des globalen Südens. Regelmäßig werden Missionare aus Afrika und Asien nach Europa und Lateinamerika entsandt.
Mittlerweile ist das Verhältnis der Provinzen zu einem Austausch der Gaben geworden. Asien und Afrika haben mehr Berufungen. In Europa gibt es dafür mehr Erfahrungen in der Organisation und der Geschichte. Wir können uns gegenseitig bereichern und helfen.
Der wichtigste Punkt während der 90er und 2000er-Jahren war die Stärkung des Charismas der Oblaten. In den 90er-Jahren wurde der Stifter heiliggesprochen. Dazu kamen Selige, etwa Joseph Gerard und Joseph Cebula. Das Gründungskloster der Oblaten in Aix-en-Provence wurde zu einem Zentrum für Oblatenspiritualität ausgebaut.
Auch praktisch hat sich viel getan: Der Generalökonom hatte die Idee, die Provinzen, die wenige Berufungen haben, in einen zentralen Fonds einzahlen zu lassen, um die Provinzen zu unterstützen, die viele Berufungen haben. Das hat gerade im Globalen Süden viel ermöglicht.
Was waren Ihre wichtigsten Aufgaben als Generaloberer?
Am wichtigsten ist die Personalverantwortung. Der Generalobere ernennt die Provinziale. Er lässt auch die Kandidaten für die ewigen Gelübde zu, weltweit. Ich habe damals vor Entscheidungen alle Dossiers zu jedem Mitbruder durchgelesen. Ein weiteres Arbeitsfeld ist die Öffnung und Schließung von Missionen. Der Generalobere hat auch eine symbolische Funktion: Die Mitbrüder zu besuchen, da zu sein und den heiligen Eugen präsent zu machen.
2010 kehrten Sie nach Paraguay zurück. Wie war das für Sie? Wie hatte sich Paraguay verändert?
Als ich Paraguay verließ, war gerade die Diktatur zu Ende gegangen. 2010 hatte sich die Demokratie etabliert – auch wenn einige der alten Denkstrukturen noch vorhanden waren. Die Schulbildung war mehr geschätzt als früher. Leider wurde zu großen Teilen der Urwald abgeholzt. Die Agrarindustrie wuchs und die Landbevölkerung zog in die Städte und vergrößerte dort die Armutsviertel oder zog ins Ausland.
Die Priesterseminare hatten sich gut entwickelt. Ich war dann drei Jahre im Priesterseminar der Oblaten in Asuncion tätig. Ich dachte, ich gehe so langsam in den Ruhestand über.
2014 wurden Sie Bischof von Ciudad del Este. Die Diözese war damals in einer schwierigen Lage. Wie haben Sie die Entwicklung des Bistums gestaltet?
Mein Vorgänger, Rogelio Ricardo Livieres Plano, wurde durch den Papst abgesetzt. Bischof Livieres Plano hatte viele Initiativen ergriffen, etwa ein eigenes Priesterseminar, das traditioneller ausgerichtet war, oder die Verschönerung der Liturgie.
Nach einigen Jahren inkardinierte mein Vorgänger einen argentinischen Priester mit einigen Gefährten. Zuvor hatte sich dieser Priester in den USA aufgehalten und hatte eine Gemeinschaft gegründet, der dort finanzielle Unregelmäßigkeiten und sexueller Missbrauch vorgeworfen wurden. Mit denselben Leuten begannen die Schwierigkeiten in unserer Diözese. Auch das Priesterseminar veränderte sich, weil Kandidaten aufgenommen wurden, die weniger geeignet waren. Durch all das wurde Klerus und Gläubigen in mehrere Gruppen gespalten.
Meine Aufgabe als Bischof war es, Friede und Einigkeit wiederherzustellen. Ich musste dabei auch Entscheidungen treffen, die wenig Anklang fanden. Ich musste das Priesterseminar schließen - die Seminaristen werden jetzt gemeinsam mit allen anderen Kandidaten aus Paraguay im Nationalen Priesterseminar ausgebildet - und einige junge Gründungen von Ordensgemeinschaften auflösen. Aber die Diözese hat sich wieder beruhigt.
Seit 2023 sind Sie emeritiert. Wie geht es jetzt für Sie weiter?
Ich bin in Paraguay geblieben und lebe dort in einer Oblatenkommunität in der Hauptstadt. Ich arbeite in der Bischofskonferenz mit und werde Firmungen spenden.
Wie schätzen Sie die Entwicklung in der lateinamerikanischen Kirche der vergangenen 50 Jahre ein?
Die Kirche in Lateinamerika musste sich in meiner Anfangszeit mit Diktaturen auseinandersetzen. Das hat die Kirche in einigen Gebieten politisiert. Man hat dann später erkannt, dass wir als Kirche gar nicht die Kraft und den Einfluss haben, politisch viel zu bewegen. Die Polarisierungen in den meisten Ländern sind aber mittlerweile überwunden.
Wir konzentrieren uns auf die Verkündigung des Kerns des christlichen Glauben: verkünden, wer Christus ist. Es wurden auch Skandale aufgedeckt, etwa in Chile. Das war sehr schmerzhaft, aber es war gut, dass eine Reinigung stattgefunden hat.
Was kann die deutsche Kirche von Lateinamerika und speziell von Paraguay lernen?
Die deutsche Kirche beginnt einen ähnlichen Priestermangel zu erleben wie wir in Paraguay. Sie lernt gerade: Man muss nicht in Panik verfallen, sondern ein anderes Konzept entwickeln. Ich würde sagen, solange die Leute noch um Sakramente bitten für ihre Kinder, sollte man diesen Wunsch zum Anlass nehmen, für die ganze Familie eine Zeit intensiver Glaubensvertiefung anzubieten.
Für mich ist die größte Gefahr, dass die Menschen ihren Glauben zu verlieren. In einigen Ländern wird das noch durch die religiöse Kultur verdeckt, aber die Gefahr besteht ebenso.
In Deutschland hat die Kirche große Mittel – aber auch viele Verpflichtungen. Ich hatte als Bischof ca. ein Dutzend Leute in fester Anstellung für eine Diözese mit einer Millionen Katholiken. Bei uns wird viel von Freiwilligen erledigt. Die Finanzierung der Kirche in Paraguay ist prekär.
Bei uns in der Diözese läuft das so, dass die Pfarreien nach einem bestimmten Schlüssel Beiträge an das Bistum senden. Einmal im Jahr gibt es eine große Tombola. Das sind die regelmäßigen Einnahmen. Derzeit sind keine Reserven vorhanden. Die Diözese könnte ca. sechs Monate ohne neue Einnahmen überleben. Einige versuchen ein System des Zehnten einzuführen.
Wie hat sich der Orden in Paraguay entwickelt, seit sie vor 50 Jahren nach Lateinamerika gegangen sind?
Wir sind in den vergangenen Jahrzehnten nicht gewachsen. Die Provinz besteht mittlerweile aus vier Ländern. Wir sind ca. 70 Oblaten. Aktuell gibt es ein halbes Dutzend Scholastiker. Eine wichtige Aufgabe ist weiterhin das Apostolische Vikariat Pilcomayo. Die Arbeit von uns Oblaten ist geprägt von ländlichen Pfarreien mit einer ärmeren Bevölkerung.