Frankfurter Straßen-Uni
Orientierung
Freitag, 30. August 2024

Neue Perspektiven – nicht nur für die Dozenten

Für die meisten Menschen gehört Obdach- und Wohnungslosigkeit nicht zu ihrem Alltag. Sie findet buchstäblich am Rand der Straßen statt oder in der Unsichtbarkeit von Einrichtungen. Echte Begegnungen gibt es kaum.

Das nahm auch die Katholische Erwachsenenbildung (KEB) in Frankfurt wahr, als sie sich 2019 bemühte, den Anspruch von Papst Franziskus umzusetzen: „Kirche im Aufbruch ist aufgerufen, aus sich selbst heraus- und an die Ränder zu gehen.“ Die KEB entwickelte zwar das Ziel, akademische Bildung im Semester-Rhythmus für obdach- und wohnungslose Menschen anzubieten – aber für die Umsetzung benötigten sie erfahrene Partner.

Obdach- und Wohnungslose

Ist ein Wohnungsloser nicht auch immer obdachlos? Der Staat definiert das anders. Wohnungslose sind Menschen, die keine amtliche Meldeadresse haben, die aber durch die sozialen Sicherungssysteme erfasst werden und häufig einen Platz in einer Unterkunft haben. Obdachlose sind hingegen durch alle Netze des Staates gefallen. Sie haben keine Adresse, keine Versicherung und erhalten kein Bürgergeld.

Zweckfrei, aber sinnvoll

Dafür wandte sich Markus Breuer von der KEB an den Franziskustreff. Diese Institution, die an das Kapuzinerkloster Liebfrauen in Frankfurt angebunden ist, bietet vielen Obdach- und Wohnungslosen einen Treffpunkt, wo sie etwa für sehr wenig Geld ein Frühstück bekommen. Beide Institutionen nahmen Kontakt zur Stiftung Polytechnische Gesellschaft auf.

Daphne Lipp von der Stiftung betont: Das Bildungsangebot ist sinnvoll, aber zweckfrei. Es geht nicht um konkrete Ziele wie etwa Angebote zur Gesundheitsvorsorge. Die Straßen-Uni soll den Geist der Universität in sich tragen: akademische Veranstaltungen, die Zugang zur Bildung an sich ermöglichen.

Das Programm wird in vielen Frankfurter Einrichtungen für Wohnungslose beworben – aber nur dort. In Schaukästen der Frankfurter Kirchengemeinden wird es bewusst nicht präsentiert. Die Veranstaltungen sind als Schutzraum für die Obdach- und Wohnungslosen konzipiert, in dem sie Bildung erfahren.

Aber die Besucher werden nicht versteckt. Deswegen finden die Veranstaltungen im Haus am Dom statt, dem Tagungshaus des Bistums Limburg in der Frankfurter Innenstadt. Denn die Straßen-Uni sieht sich auch als Brücke in die Gesellschaft.

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Wichtig ist der gesellschaftliche Zusammenhalt, dass wir die Menschen zusammenbringen.

Daphne Lipp

Neue Räume erobern

Die Vorträge finden immer um 13 Uhr statt, an einem Dienstag. Das heißt: Die Besucher müssen sich die Termine merken und dann auch da sein – meistens relativ pünktlich. Das ist in der Wohnungslosenhilfe nicht selbstverständlich.

Pünktlichkeit ist besonders bei den Exkursionen wichtig, die zwischen den Semestern angeboten werden, etwa ins Senckenberg-Museum oder in die Oper. „Obdach- und wohnungslose Menschen sollen überall sichtbar sein, jenseits der Bilder, die wir als Normale in unseren Köpfen haben“, sagt Markus Breuer von der KEB. Auch das sei ein Ziel der Straßen-Uni, sich Teile des öffentlichen Raumes im positiven Sinne zu erobern, so Bruder Michael. Damit würden Vorurteile abgebaut und man trage zum Miteinander in der Stadt bei. Lipp bringt das auf den Punkt: „Wichtig ist der gesellschaftliche Zusammenhalt, dass wir die Menschen zusammenbringen.“