„Im Hass auf Israel finden sie zusammen“
Berlin - Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA ist nach Worten der Soziologin Karin Stögner in bestimmten Kreisen eine Öffnung zum Islamismus zu beobachten. „Seit 9/11 gab es eine absurde Entwicklung hin zu einer antiwestlichen Orientierung innerhalb von feministischen und queeren Kreisen und hin zu einer Öffnung zum Islamismus“, sagte die in Passau lehrende Professorin der „Jüdischen Allgemeinen“ (Donnerstag). „Manche glaubten irrigerweise, darin eine Alternative zur westlichen Moderne und zum Identitätszwang zu sehen, unter dem vor allem queere Menschen leiden.“ Stögner äußerte sich vor dem Hintergrund der Frage, warum die Massaker der Hamas vom 7. Oktober in Israel so viele politische Lager vereine, darunter Islamisten, Feministinnen und Neonazis.
Mit dem englischen Wort queer bezeichnen sich Menschen, die nicht heterosexuell sind oder deren geschlechtliche Identität nicht mit gesellschaftlichen Rollenbildern übereinstimmt. Unter ihnen sind Personen mit gleichgeschlechtlicher Orientierung die wohl größte Gruppe.
Ausgeblendet werde etwa, dass im Iran Homosexuelle an Kränen gehenkt würden, kritisierte Stögner. „Man beschäftigt sich ja kaum konkret mit dem Islamismus, sondern sieht ihn in erster Linie als Opposition zum Westen.“ Ein Antifeminismus werde legitimiert, wenn er sich gegen den Westen richte: „Das scheint authentisch zu sein.“ Dahinter stünden „unbenannte Erfahrungen mit eigener Unzugehörigkeit und Isolation und ein Unbehagen mit allem, was mit der westlichen Aufklärung zu tun hat. Universalismus, Menschenrechte, Individualismus, Emanzipation, Gleichheit, Gleichberechtigung, all das wird im Grunde abgelehnt.“
Bestimmte Rechte seien in westlichen Gesellschaften nicht vom Baum gefallen, sondern im Westen gegen starke Widerstände erkämpft worden, erklärte Stögner. „Trotzdem gilt der Westen vielen immer noch als der Hauptgegner. Es ist ein sehr unterkomplexes, in erster Linie repressives Bild des Westens, das jene Seiten des Westens ausblendet, die befreiend sind.“ Aktivistinnen sähen sich als Gegnerinnen des Westens, weniger als ein Teil davon. „Es geht nicht um die Rechte der Palästinenser und Palästinenserinnen. Sondern darum, wie man den Westen und dessen Konzept ablehnt.“ Proteste gegen Israel nähmen einen „surrealen Eventcharakter“ an und fungierten als Kompensation für soziale Einsamkeit, so Stögner. „Im Hass auf Israel finden sie zusammen - er ist eine Schiefheilung für eine unbewusst empfundene soziale Isolation und einen Mangel an Solidarität.“ (KNA)