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Orientierung
Philippinen
Mittwoch, 29. Juni 2022
Konzept der "kritischen Zusammenarbeit" hat Tradition

Wieder ein Marcos - wo steht die Kirche der Philippinen?

"Der Einfluss der Bischofskonferenz nimmt ab" - diese Bilanz zieht Pater Christian Buenafe wenige Tage vor der Amtseinführung von Ferdinand Marcos Jr. als Präsident der Philippinen. Der Karmeliter ist einer der beiden Geschäftsführer der nationalen Ordensoberen-Konferenz (CMRSP) und Vorsitzender der Task Force Detainees of the Philippines (TFDP), der ältesten Menschenrechtsorganisation des Landes.

Die Kirche, so Buenafe, habe "moralisch versagt", die Menschen davon zu überzeugen, der korrupten und verlogenen Marcos-Sippe kein Comeback zu ermöglichen. "Wir haben uns zu sehr auf Gottesdienst und Glaubensvermittlung konzentriert. Die Soziallehre der Kirche und die Menschenrechte werden aber nicht diskutiert. Die Menschen halten Armut und Korruption für normal", sagt Buenafe bei einer Begegnung in dem düsteren, mit Akten, Bildern und angestaubten Spielzeugautos vollgestopften Sitzungsraum der TFDP in Quezon City

Im Nachbarraum hängen verblassende Schwarz-Weiß-Fotos von Menschen, die während des Kriegsrechts unter Marcos Sr., der das Land von 1965 bis 1986 brutal und korrupt beherrschte, politisch verfolgt und ermordet wurden. Die Metallschränke darunter sind leer. "Darin waren Dokumente über die Menschenrechtsverletzungen aus der Ära des Kriegsrechts archiviert. Die haben wir haben vor möglichen Beschlagnahmungen durch die Regierung Marcos Jr. an einen sicheren Ort gebracht, wo wir sie digitalisieren", so Buenafe.

Hierarchie hat Kontakt zu den Armen verloren

Pater Flavie Villanueva ist einer der furchtlosesten kirchlichen Kritiker des Drogenkriegs des scheidenden Präsidenten Rodrigo Duterte. Dem Steyler Missionar wird deshalb gerade der Prozess wegen "Aufruhr" gemacht. "Die Kirchenhierarchie hat im Leben der Armen keine Bedeutung", sagt Pater Flavie bei einer Begegnung in seinem "Arnold Janssen Kalinga Center" für Obdachlose. Das habe sich auch bei der Wahl niedergeschlagen. "Die Armen hörten nicht auf die Kirche, sondern glaubten Marcos' Versprechen von einer Rückkehr der 'goldenen Ära' seines Vaters, die aber von Menschenrechtsverletzungen und der milliardenschweren Plünderung der Staatskasse durch den Marcos-Clan geprägt war."

Villanueva hat sich bei den Behörden durchgesetzt und lässt derzeit Leichen exhumieren und forensisch untersuchen, die von der Polizei als angebliche Drogenkriminelle getötet wurden. "Um der Gerechtigkeit willen müssen wir die wahren Todesursachen dokumentieren", sagt er über seinen Weg, den Armen die Relevanz von Kirche in ihrem Land zu beweisen.

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Korruption und Gottesdienst - das geht für viele

Wie sich das Verhältnis zwischen Kirche und Staat unter dem praktizierenden Katholiken Marcos Jr. gestalten wird, ist noch offen. "Das Plenum der Bischofskonferenz tagt vom 3. bis 11. Juli, und gleich anschließend tagen die Ordensoberen. Das Wahlergebnis wird sicher Thema sein", so Buenafe, der bei der Wahlkommission die Disqualizierung von Marcos als Präsidentschaftskandidat beantragt hatte; die Begründung: gerichtlich festgestellte Steuerhinterziehung.

Es gebe aber auch Bischöfe, die für Marcos sind. "Marcos könnte wie die frühere Präsidentin Gloria Macapagal Arroyo dafür sorgen, dass sie loyal bleiben", meint er. Arroyo war neben nachweislichem Wahlbetrug und Korruption dafür bekannt, Bischöfen bei Besuchen im Präsidentenpalast Geldumschläge zustecken zu lassen.

Bischof Colin Bagaforo, Chef der philippinischen Caritas, hatte nach der Wahl die Bereitschaft zur Kooperation mit Marcos auf Grundlage "ihrer Prinzipien" wie Achtung der Menschenwürde und guter Regierungsführung erklärt - und damit Erinnerungen an das Konzept der "kritischen Zusammenarbeit" der Kirche mit Diktator Marcos geweckt

Kritische Stimmen meinen dieser Tage, für die katholischen Philippiner sei es kein Widerspruch zu lügen, korrupt zu sein, dem Glücksspiel zu frönen, politische Konkurrenten umzubringen und gleichzeitig Gottesdienste zu besuchen und der Kirche generös zu spenden. "In der Soziologie nennt man das 'Split Level Christianity', beschreibt Buenafe solche Bigotterie.

Michael Lenz (KNA)