Ohne Disziplin geht es nicht
Das Wort „Askese“ kommt aus dem Griechischen, wo es so viel heißt wie „üben“. Schon in vorchristlicher Zeit war die Askese eine Schule religiöser oder philosophischer Motivation. Wer sich solchen geistlichen Übungen unterwarf, wurde „Asket“ genannt. Man übte die jeweiligen Tugenden, studierte menschliches Verhalten und den eigenen Charakter, versuchte sich in der Selbstkontrolle des Denkens und Wollens. Der Verzicht stand oben an. Konzentration auf das Wesentliche und Enthaltsamkeit gegenüber jeder Ablenkung sollte das Erreichen höherer Ziele fördern.
Im Christentum hat die Askese von Anfang an ihren festen Platz. In der Nachfolge Jesu wurde das „Streben nach Vollkommenheit“ zu einem zentralen Wert, obwohl Jesus, wie kein anderer, die zur Schau gestellte Askese des Judentums kritisiert hat. Gleichzeitig setzte der Sohn Gottes andere Maßstäbe: „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach“ (Mk 8,34). In seiner Nachfolge war nun innerliche Askese gefragt, damit man Christus nicht aus dem Blick verlor.
Der Übergang von der äußeren zur inneren Askese brauchte seine Zeit. So kam es ab dem späten dritten Jahrhundert zu einer ganzen Reihe von asketischen Sonderformen, die uns heute befremden. So zogen sich die Wüstenväter im Namen Gottes in die Einsamkeit der Wüste zurück. Andere verwirklichten ihr asketisches Ideal so radikal, dass sie auf jede Kleidung verzichteten, ihre Haare nicht mehr schnitten, usw. Spektakulär waren die Säulenheiligen, sogenannte „Styliten“. Das waren zwischen dem 4. und 6. Jahrhundert asketische Mönche, die ihr Leben auf einer hohen Säule verbrachten. Einer von ihnen war der heilige Daniel, dessen Gedenktag die katholische und orthodoxe Kirche am 11. Dezember begehen.
Ein Blick in die Vergangenheit: Wer war der heilige Daniel?
Er stammte aus Maratha bei Samosata in Syrien, wo er 409 geboren wurde. Schon als Zwölfjähriger trat er in ein Kloster seiner Heimatstadt ein. Der hl. Simeon Stylitis der Ältere (390-459), ebenfalls ein Säulenheiliger, führte Daniel in diese Sonderform geistlichen Lebens ein.
456 bestieg Daniel in Anaplus bei Konstantinopel seine eigene Säule, die er bis zu seinem Lebensende am 11. Dezember 493 kaum mehr verlassen sollte. Den Lebensraum auf der Säule bildete ein großes Fass, in dem er stand. Und nun wird es interessant.
Der eigenartige Heilige hatte bald großen Zulauf. Menschen, die ihn mit Nahrung versorgten, holten sich bei ihm Rat. Von der Säule predigte er, vermittelte im Streit, unterrichtete einige Schüler und soll manches Wunder gewirkt haben. Mit sich selbst war er sehr streng. Zur Priesterweihe weigerte er sich, die Säule zu verlassen. Der Bischof musste zur Handauflegung zur Säulenspitze klettern. Nach dem Konzil von Chalkedon 451 verließ er für kurze Zeit die Säule, um den Patriarchen Achatius (†489) zu beraten. Ebenso kam der oströmische Kaisers Leo I. (401-474) zu Daniel.
Ein Blick in die Zukunft: Was könnte der hl. Daniel von mir wollen?
Auf den ersten Blick fragt man sich: Was soll das? Der zweite Blick aufs „Säulenstehen“ aber lässt drei geistliche Komponenten erkennen:
1) Da ist zunächst die Nähe zum Himmel, die sich auf der Säule ergibt. Sie steht für die Sehnsucht nach Gott, der in der Unendlichkeit und Ferne des Himmels geglaubt wird.
2) Es geht sodann um das Aushalten an einem Ort. Von der Säule kann man nicht weg. Geistliche Menschen sollen ja auch nicht weglaufen, wenn es schwierig wird. Auch den inneren Konflikten muss ich mich stellen.
3) Letztlich geht es um das aufrechte Stehen. Der Christ soll dieser Welt aufrecht und eben nicht gebeugt begegnen. Ich muss für meinen Glauben einstehen.
Wenn man so ins Nachdenken kommt, könnte man zu dem Schluss kommen: Hin und wieder täte mir so eine Säule auch gut. Bei aller Freiheit, die ich in dieser Welt genieße, bedarf es auch für mein Christsein einer gewissen Disziplin. Gottes Nähe suchen, das normale Leben aushalten und die eigene Würde bewahren, ist zweifellos anstrengend.