Welche Rolle spielt die geistliche Dimension in der Entwicklung der Kirche?
Wie kann sich Kirche unter den Bedingungen der Postmoderne entwickeln? Diese Frage stellt sich gerade in vielen Bistümern. Dabei führt die Organisation Kirche viele Strukturdebatten: Wie sollen neue Leitungsstrukturen aussehen, wie werden die Immobilien verwaltet, wie viele Gottesdienste können in wie vielen Orten noch abgehaltenwerden?
Doch Kirche ist mehr als ein Verwaltungsbetrieb und auch mehr als ein Sakramentenversorgungsanstalt. Sie hat eine tiefe geistlicher Dimension.
Schwester Igna Kramp CJ gehört zur Congregatio Jesu. Sie ist seit 2021 Leiterin des Entwicklungsbereichs Geistliche Prozessbegleitung im Bistum Fulda.
Wie kann eine geistliche Dynamik entstehen
„Spiritualität ist nicht das Sahnehäubchen. Vielmehr tritt man dabei zurück und fragt zuerst nach dem Willen Gottes. Aus dieser Erfahrung lassen sich dann Probleme bewältigen“, so Schwester Igna Kramp CJ.
Igna Kramp ist „Leiterin des Entwicklungsbereichs Geistliche Prozessbegleitung“ im Bistum Fulda. Ihre Aufgabe ist es, immer wieder an die geistliche Dimension von Kirche zu erinnern: Die höhere Ehre Gottes und das Heil der Menschen ist deren letztes Ziel.
Sie begleitet dafür die Leitungskonferenzen im Bistum. Gewiss: In den meisten kirchlichen Gremien steht am Anfang das Gebet. Aber danach wird die Tagesordnung abgearbeitet. Und häufig sei dann schon alles klar. Das sei auch verständlich: Es ist häufig sehr viel, was sehr schnell gemacht werden muss. Eine geistliche Dynamik könne aber auf diese Weise nicht entstehen, so die Schwester der Congregatio Jesu.
Die Kongregation, früher als Maria-Ward-Schwestern bekannt, kommt aus der ignatianischen Tradition. Das prägt auch Schwester Igna und ihre Arbeit. Wie in den Exerzitien des Ignatius geht es auch in der geistlichen Prozessbegleitung darum, die Geister zu unterscheiden und sich dem Willen Gottes zu öffnen – im Bewusstsein, diesen nicht letztgültig erschließen zu können.
Eine urchristliche Mission
Um die geistliche Dimension in Prozessen wach zu halten, hat das Bistum eine Struktur neben der Struktur geschaffen. Der „Entwicklungsbereich Geistliche Prozessbegleitung“ ist direkt dem Bischof zugeordnet. „Ich habe ein starkes Wir-Gefühl mit Bischof Gerber und vielen Kolleginnen und Kollegen im Bistum. Ich bin hierher gekommen, weil ich den Eindruck hatte, hier ist ein Bischof, mit dem ich viele Vorstellungen teile.“
Ein weiterer Vorteil: „Als Ordensfrau habe ich einen anderen Blick auf die Diözese. Ich komme nicht aus dem Bistum und bleibe hier auch nicht.“ Ihre Stelle hat sie 2021 angetreten. Sie ist zunächst auf fünf Jahre angelegt. Wie es dann weitergeht? Weiß sie noch nicht; muss sie auch nicht.
Ihre Aufgabeerinnert sie an die urchristliche Mission: etwas pflanzen und dann weitergehen.
Freilich: Damit das Gepflanzte auch wachsen kann, braucht es eine kritische Masse an Gläubigen, die eine geistliche Reform mittragen. Von Massen möchte Schwester Igna aber lieber nicht sprechen: Im geistlichen Prozess geht es um den Einzelnen. „Man kann nicht die Strukturveränderung begleiten, sondern die Menschen dabei“, ordnet sie ihre Aufgabe ein.
Ein Mangel an Christen, die ihren Glauben leben
Neben der Begleitung von Gremien nimmt deshalb die Ausbildung von haupt- und ehrenamtlichen Multiplikatoren einen großen Block ihrer Arbeit ein: „Es ist gar nicht schwierig, Menschen zu finden, die eine solche Ausbildung machen.“
Das Entscheidende an den Multiplikatoren: Wenn die Entwicklung von Kirche mehr sein soll als ein Rückbau, dann gilt es, Gläubige zu ermutigen, eigene geistliche Wege zu gehen, allein und auch gemeinsam.
Oft werde vom Mangel an Priesterberufungen gesprochen, vermehrt auch vom Mangel an Geld und dem Schrumpfen der Gottesdienstgemeinden. Doch dahinter entdeckt Schwester Igna noch etwas anderes: „Wir haben einen Mangel an Christen, die ihren Glauben leben und es auch noch tun würden, wenn die Bedingungen sich geändert haben.“
Auch sie wünscht sich keine Abbrüche. „Aber ich wünsche mir, was in diesen Abbrüchen passieren kann. Eine Verwesentlichung – eine einfachere, aber ärmere Kirche, die geistlich reicher ist.“
Denn die Pfarreien stoßen nicht nur finanziell und personell an ihre Grenzen, sondern auch spirituell. Geprägt sind sie meistens von der Gottesdienstgemeinde. Viele Menschen sind dort kirchenfromm, kommen am Sonntag in die Messe, engagieren sich in der Pfarrei – aber Nachfolge Christi spielt mitunter keine Rolle. „Ich erlebe häufig, dass die Menschen, die sich nach einer tiefen Gottesbeziehung sehnen, in Pfarreien nicht finden, was sie suchen– und ihre geistliche Heimat woanders haben.“
Den natürlichen Atemrythmus der Kirche wiederentdecken
Deswegen ist es entscheidend für den Erfolg der Geistlichen Prozessbegleitung, viele kleine Erfahrungsräume zu schaffen, um Stille und die Nähe Gottes zu leben. „Das ist der natürliche Atemrhythmus der Kirche.“
Das Ziel ist es, dass sich die Menschen von Gott führen lassen. Gelungen ist es dann, wenn sich eine Dynamik entwickelt, bei der etwas entsteht, was vorher noch nicht gedacht war oder wenn eine Diskussion auf eine andere Ebene gehoben wird - und die Teilnehmer verändert aus einer Sitzung herausgehen.
Wie entwickelt sich Kirche? Schwester Ignas Antwort: „Gott entwickelt seine Kirche – und wir dürfen dabei mitwirken.“