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Mittwoch, 18. Mai 2022
Augustinus von Hippo

„Unruhig ist mein Herz bis es ruht in dir“

Bei Augustinus „ist immer der leidenschaftliche, leidende, fragende Mensch direkt da“, einer „mit dem man sich identifizieren kann.“ So beschreibt Joseph Ratzinger seine Begegnung mit den Confessiones des Augustinus in seiner Zeit als Student. Schon bei der Lektüre der ersten Seiten des lateinischen Kirchenvaters erkannte Ratzinger „ihn praktisch sofort als meinen Zeitgenossen“.

Ein gelehrter Sünder

Augustinus wurde am 13. November 354 in der römischen Provinz Numidien geboren, heute das östliche Algerien nahe der Mittelmeerküste. Sein Vater war ein Landbesitzer und starb in der Jugendzeit seines Sohnes. Es war ein wohlhabender Verwandter, der Augustinus eine exzellente Ausbildung finanzierte. Wichtiger wurde seine Mutter Monika, eine Christin. Sie sollte es sein, die ihr ganzes Leben um die Seele ihres Sohnes rang. Denn Augustinus war nicht nur ein brillanter Redner, dem eine große Karriere im weströmischen Imperium in Aussicht stand; er war auch den Genüssen des Lebens zugeneigt, hatte mehrere Liebschaften und ein jahrelanges uneheliches Verhältnis, aus dem auch ein Sohn hervorhing. In dieser Zeit las Augustinus lieber Cicero als die Heilige Schrift, die dem rhetorisch Begabten sprachlich unbefriedigend und philosophisch dürftig erschien. Freilich, Augustinus war nicht unreligiös. Fast ein Jahrzehnt lang näherte er sich den Manichäern an. Eine Wende im Leben des Augustinus bringt der Karriere- Sprung nach Norditalien, dem damaligen Regierungszentrum des römischen Imperiums. Dort trifft er auf den Mailänder Bischof Ambrosius, dessen philosophisches und rhetorisches Niveau ihn hinreichend beeindruckt, um seine Distanz zum etablierten Christentum abzubauen.

Bischof von Hippo

Sein Erweckungserlebnis erfuhr Augustinus laut den Confessiones im Garten eines Freundes, wo ihn die Stimme eines Kindes aufforderte, die Bibel zu leist sen: „Lasst uns ehrenhaft leben wie am Tag, ohne maßloses Essen und Trinken, ohne Unzucht und Ausschweifung, ohne Streit und Eifersucht! Vielmehr zieht den Herrn Jesus Christus an und sorgt nicht so für euren Leib, dass die Begierden erwachen.“ (Röm 13,13–14) Augustinus zog sich mit einigen Freunden auf ein Landgut in Norditalien zurück. Hier ließ er sich taufen. 388 erreichten Augustinus und seine Gruppe wieder Afrika und verbrachten auf dem elterlichen Landgut ein zurückgezogenes Leben. In den neunziger Jahren war es mit dem Rückzug für Augustinus vorbei: Er wurde zum Nachfolger des Bischofs von Hippo bestimmt. In den nächsten drei Jahrzehnten wirkte Augustinus als Hirte und Seelsorger. Daneben verfasste er zahlreiche Schriften über die unterschiedlichsten Themen, sowohl Streitschriften gegen die Manichäer und Pelagianer, dogmatische Texte, seine geistliche Autobiografie, die Confessiones, aber auch Untersuchungen über das Verhältnis von Kirche und Staat „De civitate Dei“. Er starb 430 in Hippo.

Zeiten des Umbruchs

Nicht nur das Leben des Augustinus war aufregend. Auch die Zeit, in der er lebte, war eine Epoche des Umbruches. Als er geboren wurde, war die konstantinische Wende erst ein halbes Jahrhundert her und das Christentum begann sich als dominante Religion des römischen Staates zu etablieren. Das Imperium, bei allen inneren Wirren, schien doch mit den Bedrohungen klarzukommen. Als Augustinus starb, belagerten die germanischen Vandalen seine Heimatstadt Hippo. Das Weströmische Reich zerfiel derweil vor den Augen der Zeitgenossen. Für Augustinus am bedeutsamsten war der Transformationsprozess des Christentums. Innerhalb weniger Jahrzehnte wurde es vom Glauben einer verfolgten Minderheit zur Staatsreligion. Nunmehr bediente es sich zu seiner Verbreitung des römischen Machtapparates, wie sich die Kaiser der Kirche bedienten. Klar ist: Das Christentum war nicht länger eine Religion, zu der man sich gegen alle Widerstände bekannte; es wurde zu einer Institution, die ihren Angehörigen Vorteile einbrachte. Die Kirchen füllten sich mit Menschen, die ohne wirkliche Beziehung zu Jesus Christus lebten. Mit den christlichen Asketen wie den Wüstenvätern verbreitete sich eine Gegenbewegung. Der Autor und Bischof Augustinus steht in diesem Trend. Nicht umsonst wollte er eine kontemplative Gemeinschaft gründen, bevor er zum Bischof berufen wurde. Diese Berufung stellt einen Schlüssel für sein weiteres Werk dar. Anders als die meisten geistlichen Autoren vor ihm schrieb er nicht als Mönch für Mönche, sondern als Bischof für seine Herde.

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Die vier lateinischen Kirchenväter

Ein Autor, der brennt

Der Stil des Rhetors Augustinus ist dabei etwas Besonderes: In seinen Confessiones etwa tritt er uns unmittelbar entgegen. Es gibt keine Distanz zwischen dem literarischen Erzähler und dem Autor selbst. Mit Wucht brechen die ersten Zeilen des Buches über den Leser herein: „Groß bist du, o Herr, und deines Lobes leist kein Ende; groß ist die Fülle deiner Kraft, und deine Weisheit ist unermeßlich. Und loben will dich der Mensch, ein so geringer Teil deiner Schöpfung; der Mensch, der sich unter der Last der Sterblichkeit beugt, dem Zeugnis seiner Sünde, einem Zeugnis, daß du den Hoffärtigen widerstehest; und doch will dich loben der Mensch, ein so geringer Teil deiner Schöpfung. Du schaffest, daß er mit Freuden dich preise, denn zu deinem Eigentum erschufst du uns, und ruhelos ist unser Herz, bis es ruhet in dir. Kläre mich auf, o Herr, und laß mich erkennen, ob wir dich zuerst anrufen oder dich preisen; ob wir dich eher erfassen als anrufen sollen?“ Die geistliche Autobiographie des Augustinus ist ein maßloser Text, ein wildes Stakkato aus Lebenserzählung, Gebet und theologischer Reflexion. Noch deutlicher wird diese Eigenart des Augustinus, vergleicht man ihn mit dem anderen großen Lehrer der westlichen Christenheit, Thomas von Aquin: Bei letzterem tritt die Person des Autors ganz hinter das Werk zurück, das „Ich“ des Lehrers scheint nicht auf. Es spricht ein beliebiger, unbekannter Erzähler, dessen Lebensgeschichte für den Stoff, den er behandelt, keine Rolle zu spielen scheint. Es reicht meist seine Verortung im Lehrbetrieb der Hochscholastik, um den Text einordnen zu können. Bei Augustinus ist das anders: Es spricht immer der Autor direkt, seine Biographie durchwirkt seine Texte; die Sprache des Rhetors Augustinus ergreift den Leser: aufrüttelnd, aggressiv, zärtlich, bildreich. Gerade durch diese Unmittelbarkeit kann der afrikanische Bischof für die Menschen dieser Zeit noch ein Lehrer sein, der das Herz für Christus entflammen lässt.

Fotos: 

Header Bild: Oris, Wikimedia Commons