Wie gemeinsames Leben gelingen kann
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Donnerstag, 29. Juni 2023
Spielregeln für das Zusammenleben einer internationalen Gemeinschaft

Wie gemeinsames Leben gelingen kann

Pater Ross Kapunan OMI lebt auf den Philippinen. Zurzeit ist er Superior des Oblatenscholastikats in Manila. Dort leben 30 Scholastiker aus 12 verschiedenen Nationalitäten zusammen. Die Scholastiker kommen aus den afrikanischen Ländern Kamerun, Kenia, Lesotho und Kongo sowie aus Asien: China, Korea,Vietnam, Thailand, Laos, Sri Lanka, Indien und den Philippinen.

Der Artikel beruht auf einem Vortrag, den P. Kapunan auf Englisch gehalten hat und der für den Weinberg von unserem Autor Maximilian Röll modifiziert wurde.

Die können zu Konflikten führen. Leider haben solche Unterschiedebei vielen anderen Gelegenheiten zu Ausgrenzung, Vorurteilen, Hass und sogar Gewalt geführt. Da unsere Gesellschaften und unsere Ordensgemeinschaft kulturell immer vielfältiger werden, treten diese Herausforderungen häufiger auf als früher.

Interkulturell leben als Zeugnis

Das Generalkapitel der Oblatenmissionare von 2016 formuliert es so: „Unsere Gesellschaften werden mehr und mehr multikulturell. Diese neue Wirklichkeit geht leider einher mit Zersplitterung und mit Desintegration einer geschlossenen Gesellschaft, die auf Abgrenzung gebaut hat. Das erzeugt eine starke Betonung von Identität, die Ausschlussdenken, Angst und sogar Fremdenhass erzeugt. Dies wiederum zementiert die Mauern der Trennung.“

Für die Oblaten bedeutet das: Um auf diese Entwicklung zu reagieren, reicht es nicht aus, Missionare verschiedener Nationalitäten unter einem Dach zusammenzubringen. Als Missionare müssen wir in der Lage sein, sinnvoll miteinander zu leben, indem wir uns gegenseitig bereichern und herausfordern.

Interkulturalität begreifen wir daher als gegenseitigen Austausch zwischen Kulturen, der zur Verwandlung und Bereicherung aller Beteiligten führen kann. Ein solcher Austausch ist für unser Zeugnis eines apostolischen Lebens wesentlich.

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Verbunden sind alle Oblatenmissionare durch den gemeinsamen Glauben und die Zugehörigkeit zu einer geistlichen Gemeinschaft

Perspektiven, wie Interkulturalität gelingen kann

Gott, der Urheber der Schöpfung, entwarf absichtlich ein vielfältiges Universum. Mit anderen Worten: Gott wollte seit Anbeginn der Zeit, dass wir unterschiedlich sind. Das Buch Genesis sagt uns: „Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Und siehe, es war sehr gut.“

Daher ist Vielfalt gut, denn sie ist vom Schöpfer gewollt. Das heißt, dass auch unsere kulturelle Vielfalt heilig ist. Sie soll daher eher geschätzt und gefeiert als gefürchtet oder beseitigt werden. Kulturelle Vielfalt zu erkennen und zu akzeptieren ist ein notwendiger Schritt hin zu einem interkulturellen Leben.

Interkulturelles Leben bedeutet, eine Umgebung zu schaffen, in der jeder eine Familie und ein Zuhause findet. Welche Arten von „Häusern“ gibt es heute in unserer Gesellschaft?

Hierfür entwarf Anthony Gittins, Professor in Chicago, verschiedene Bilder, um die verschiedenen Arten von „Umgebung“ zu beschreiben, in denen wir uns befinden können.

Es gibt verschiedene Arten von Häusern: Ein Altersheim: wo Menschen gemeinsam leben können, aber jeder persönlich sein Leben bestimmt. Es kann gelegentlich Zusammenkünfte geben, aber nicht jeder ist verpflichtet, anwesend zu sein.

Ein Gefängnis: wo Menschen miteinander leben müssen und keine Freiheit haben. Ihr Leben und ihre Aktivitäten sind bereits vorbestimmt.

Ein Clubheim: wo das Haus eine exklusive Mitgliedschaft hat und nur diejenigen, die sich qualifizieren, Mitglied werden können. Jeder muss bestimmte Verhaltensweisen und Regeln befolgen, um die Mitgliedschaft zu er- und behalten.

Ein Hotel: wo alle zusammenleben, aber getrennt. Sie müssen sich nicht unbedingt umeinander kümmern.

Ein Familienhaus: wo jeder bedingungslos willkommen ist. Es herrscht eine Atmosphäre von Wärme, Freiheit, echter Liebe und Sorge, ohne Urteil oder Vorurteil, es gibt Mitgefühl, Vergebung usw. Das ist die Art von Haus, die wir gerufen sind, untereinander aufzubauen: ein Zuhause, das nicht diskriminiert.

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Ein interkulturelles Leben erfordert Offenheit und Unterstützung füreinander. Foto: jty11117777 (pixabay)

Radikales Willkommen: Eine Herausforderung

Wenn wir die Vielfalt – und damit auch die Unterschiede – als Gabe Gottes anerkennen, müssen wir die damit verbundenen Herausforderungen angehen. Wir müssen anerkennen, dass unsere kulturellen Unterschiede zu Spannungen oder Konflikten zwischen uns führen können.

Unser Umgang mit einer Person oder mehreren Personen, die anders sind als wir, kann zu einer Haltung von Intoleranz, Rassismus, Ethnozentrismus, Angst und Hass, Voreingenommenheit oder Vorurteilen führen. All das kann zu Gewalt führen. Das sind ernste Probleme, denen wir uns stellen müssen. Wir sollten nicht zulassen, dass unsere Unterschiede uns spalten.

Das verlangt eine Haltungsänderung. Statt auf der einen Seite aggressiv feindselig und auf der anderen Seite desinteressiert freundlich zu sein, sind wir vielmehr berufen, eine einladende Haltung gegenüber Fremden zu entwickeln.

Hier spricht Gittins über drei Haltungen des Willkommens.

Einladung: Wir laden Menschen ein, Teil der Gemeinschaft zu werden. Jedoch können diejenigen, die anders sind, ausgegrenzt, übersehen oder vernachlässigt werden. Wir sind vielleicht nicht in der Lage, ihnen Aufmerksamkeit zu schenken. Das nennt Gittins Assimilation.

Inklusion: Wir schließen diejenigen ein, die sich von uns unterscheiden, jedoch bleiben der Stil und die Praktiken der Gemeinschaft der Standard des Verhaltens. Von jedem wird erwartet, „zu tun, was die Deutschen tun“. Diejenigen, dies ich nicht integrieren können, verlassen die Gemeinschaft. Manche fühlen sich fehl am Platz und fühlen sich nicht zugehörig. Hier spricht Gittins von Inkorporation.

Radikales Willkommen: wo jeder seine kulturellen und religiösen Werte einbringt und die Gemeinschaft durch den Beitrag jedes Einzelnen verändert wird. Unterschiede werden gewürdigt und wertgeschätzt. Mit anderen Worten, wir nehmen die Menschen so an, wie sie sind, und gemeinsam entwickeln wir eine gemeinsame Vision und missionarisches Engagement. Das lässt sich mit dem Begriff Inkarnation bezeichnen.

Interkulturalität: eine Aufgabe für alle

Für ein radikales Willkommen ist es wichtig, interkulturelle Sensibilität zu kultivieren:

Wir müssen lernen, wie man richtig mit jemandem umgeht, der anders aussieht, anders riecht, sich anders kleidet, anders spricht… Nur so können wir harmonisch und fröhlich miteinander leben.

Einige Kulturen haben zum Beispiel Schwierigkeiten mit der direkten Kommunikation. Sie können leicht beleidigt werden, wenn man offen mit ihnen spricht. Normalerweise teilen sie ihre Gedanken und Gefühle indirekt mit.

Wir müssen Kompetenzen entwickeln, wie wir uns ihnen nähern und gleichzeitig kulturell sensibel sein können. Dafür braucht es Flexibilität und Offenheit für Veränderungen: Eine der Herausforderungen, die sich in einer Gemeinschaft stellen, ist die Konfrontation zwischen der Kultur der aufnehmenden Gemeinschaft und den neuen Mitgliedern.

Die natürliche Tendenz der aufnehmenden Gemeinschaft ist es, von den neuen Mitgliedern zu verlangen, sich ihren Gepflogenheiten anzupassen. Die neuen Mitglieder hingegen fordern, dass ihre Handlungsweise ebenfalls berücksichtigt und respektiert wird.

Daher muss die sich neu bildende Gemeinschaft ihre Differenzen in einen Dialog bringen und eventuell Kompromisse eingehen. Dafür ist eine flexible Gemeinschaft wünschenswert, die für Veränderungen offen ist.

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Zum gemeinsamen Leben gehören auch die Mahlzeiten

Verpflichtung, niemanden aufzugeben

Diese Offenheit wird möglich, wenn wir alle Arten von Urteilen vermeiden, die aufgrund von Aussehen, Manieren, Prinzipien, etc. entstehen. Wir müssen uns daran erinnern, dass jeder von uns sich kulturell anders ausdrückt.

Wir können Menschen ungerecht beurteilen, weil sie anders denken, sprechen, sich verhalten, essen, riechen…Solches Urteilen müssen wir vermeiden. Ein solcher Weg ist nicht einfach. Er erfordert Durchhaltewillen von allen Beteiligten als bewusste Verpflichtung, Interkulturalität als Lebensweise zu fördern und anzunehmen.

Es ist natürlich, dass Menschen, die etwas gemeinsam haben, zusammenkommen. Zugleich erfordert es viel Mühe und Energie, diejenigen einzubinden, die anders sind als wir. Interkulturalität geschieht also nicht selbstverständlich. Ausdiesem Grund ist eine bewusste Verpflichtung für uns notwendig, um Interkulturalität als eine Form der Nachfolge zu leben. Dazu gehört, dass niemand aufgegeben wird, auch wenn er der Einzige ist, der anders ist.

Wir haben nur je einen Inder, Laoten, Kenianer und Koreaner in der Gemeinschaft. Wir ermutigen auch sie, sich kulturell auszudrücken, indem wir ihnen den Raum geben, Inder, Laote, Kenianer und Koreaner zu sein, so wie wir es den Thais erlauben, Thais zu sein, und den Filipinos, Filipinos zu sein.