Zwischenruf des Geistes
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Freitag, 6. Juni 2025

Zwischenruf des Geistes

Am Anfang der biblischen Schöpfungserzählung steht keine abstrakte Idee, sondern ein einfacher, kraftvoller Vorgang:
„Da formte Gott, der HERR, den Menschen, Staub vom Erdboden, und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen“ (Gen 3,19).

Da wird mehr eingehaucht als das biologische Leben. Es ist der Beginn einer Beziehung zwischen Gott und Mensch. Das hebräische Wort ruach, das im Alten Testament für diesen Lebensatem verwendet wird, bedeutet zugleich Atem, Wind und Geist. Es bezeichnet eine lebendige, schöpferische Kraft, die aus Gott kommt und den Menschen durchdringt.

Der Geist – Göttliche Bewegung, die den Menschen formt

Der Geist Gottes tritt in der Bibel als schöpferische, belebende Kraft in Erscheinung. Er ist kein Besitz, keine Theorie, sondern Bewegung.
In Genesis 1 schwebt er über den Wassern der Urflut – als stille, ordnende Gegenwart. Im Buch der Könige begegnet er als leiser Hauch, der den erschöpften Elija aufrichtet – nicht im Sturm, nicht im Beben, sondern in einem sanften Säuseln.

Im Neuen Testament zeigt sich der Geist besonders in der Gestalt Jesu. Er empfängt ihn bei der Taufe im Jordan und handelt fortan „in der Kraft des Geistes“. Jesus ist nicht nur Empfänger, sondern auch Geber des Geistes: Nach seiner Auferstehung haucht er die Jünger an und spricht:

„Empfangt den Heiligen Geist.“

Auch Maria empfängt eine besondere Inspiration:
„Der Heilige Geist wird über dich kommen“ – das ist keine poetische Formel, sondern eine Zumutung. Sie hört, sie fragt, sie zögert. Maria antwortet nicht aus spontaner Emotion, sondern aus einem Hören heraus, das Raum gibt. Ihre Antwort – „Mir geschehe, wie du gesagt hast“ – wird zu einem Bild tiefer geistlicher Verfügbarkeit.

In diesen Erzählungen wird deutlich: Der Heilige Geist wirkt persönlich. Er drängt nicht, aber er ruft. Er bringt in Bewegung, was festgefahren ist, und schenkt Frieden, der nicht aus der Welt stammt.

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Du bist nicht verlassen. Etwas trägt dich. Etwas ist da, wenn du gehst.

Zwischen Wahrnehmung und Beziehung

Inspiration ist kein spektakuläres Ereignis, keine Eingebung im klassischen Sinn – sondern eine stille Bewegung, die sich in der Beziehung ereignet: zur Landschaft, zum eigenen Inneren, zum unausgesprochenen Du.

So erklärt eine Frau, die viele Jahre Menschen auf ihrem Lebens- und Glaubensweg begleitet hat, ihre Vorstellung von Inspiration. Etwas wird im Inneren ausgelöst, das nicht „gemacht“ ist – aber da ist. Es entsteht zwischen dem, was man wahrnimmt, und dem, was sich in einem regt.

Das klingt abstrakt, doch sie hat es genauso erlebt:

„Ich war noch jung, vielleicht gerade so erwachsen. Wir hatten einen Hund, mit dem ich oft spazieren ging.
Ich nahm immer denselben Weg – hinaus in die Felder, vorbei an zwei Nussbäumen. Es war eine vertraute Strecke.
In dieser Zeit habe ich viel über das Alleinsein nachgedacht, über Einsamkeit. Und dann, eines Tages, mitten auf dem Weg, kam plötzlich ein ganz tiefes Gefühl in mir auf: Es ist eigentlich völlig egal. Du bist nicht allein. Ich kann das kaum in Worte fassen, aber in diesem Moment war da eine große Ruhe, eine Sicherheit – ganz still und klar: Du bist nicht verlassen. Etwas trägt dich. Etwas ist da, wenn du gehst.“

Inspiration zeigt sich für sie häufig genau in solchen Zwischenräumen – wenn Menschen sich begegnen, wenn ein Gespräch gelingt, wenn ein Moment in der Natur sich öffnet.

Dann kommt etwas in Bewegung: Gedanken, Assoziationen, Bilder. Eine Ahnung davon, dass mehr gegenwärtig ist als nur das, was gesprochen oder gesehen wird.

„Ich glaube, dass der Heilige Geist sich genau dort einmischt“, sagt sie. Nicht laut, nicht von außen, nicht zwingend – aber begleitend. Wie eine leise Präsenz, die das, was zwischen zwei Menschen entsteht, vertieft.

„Ich würde nicht sagen, dass alles Inspiration ist“, meint sie, „aber manches davon trägt eine Tiefe in sich, die ich mir selbst nicht geben kann.“

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Inspiration bedeutet, dass der heilige Geist sich einmischt: Dann eröffnet sich manchmal eine ganz neue Welt. Foto: Alexander Dummer (unsplash)

Unterscheidung der Geister

Nicht jede Eingebung ist geistgewirkt. Nicht jedes Gefühl führt in die Tiefe. Im geistlichen Leben ist es deshalb wichtig, aufmerksam zu bleiben für das, was sich im Innern regt – und achtsam zu unterscheiden, welche Regungen in die Freiheit führen und welche eher binden oder trennen.

Die ignatianische Tradition spricht in diesem Zusammenhang von der Unterscheidung der Geister.

Gemeint ist damit ein inneres Wahrnehmen und Prüfen: Woher kommt diese Bewegung? Was wirkt in mir – und wohin führt es?

Ignatius von Loyola beschreibt zwei geistliche Grundzustände, die im Zentrum dieser Unterscheidung stehen:
Trost, der weitet, ermutigt und verbindet – und Trostlosigkeit, die einengt, entmutigt und zurückzieht.

Trost ist mehr als ein angenehmes Gefühl. Er zeigt sich dort, wo Vertrauen wächst, wo Klarheit entsteht und ein leiser Friede bleibt. Trostlosigkeit dagegen macht eng, lässt zweifeln, verwirrt – und entfernt von dem, was lebendig macht.

Um in solchen Situationen geistlich zu unterscheiden, hat Ignatius einen Weg beschrieben, der hilft, Entscheidungen mit innerer Freiheit zu treffen.

Atem Gottes – Grundton des Lebens

Inspiration ist kein Ausnahmezustand. Sie ist Teil des Lebens – leise, stetig, atmend. Nicht als Dauererregung, sondern als ein immer wieder Belebt-Werden. Gottes Geist schenkt sich nicht nur im Außergewöhnlichen, sondern in der Vertrautheit: im Gespräch, im Schweigen, in der Natur, in der Gemeinschaft, im Gebet.

Wo Beziehung geschieht, wo Wachheit ist, kann sich etwas zeigen, das tiefer führt. Und doch: Nicht jede Regung ist Inspiration.
Nicht jedes starke Gefühl, nicht jeder schnelle Gedanke ist gleich Berufung. Es braucht eine Bereitschaft, zu unterscheiden. Hinzuhören. Reif werden zu lassen.

Wer lernt, seine Regungen zu prüfen, zu tragen, zu verwandeln, wird mit der Zeit fähiger, dem Geist zu folgen. Nicht weil er alles versteht, sondern weil er wach bleibt für das, was trägt. Und der Atem Gottes bleibt der Grundton, auf dem alles ruht.

Sieben Schritte geistlicher Entscheidungsfindung

1. Entscheidung erkennen
Nicht jede innere Bewegung verlangt sofort nach einer Entscheidung. Zuerst gilt es zu prüfen, ob überhaupt ein Entscheidungsraum besteht – oder ob die Situation bereits durch frühere Schritte, äußere Bedingungen oder innere Bindungen festgelegt ist.

2. Möglichkeiten entfalten
Was zunächst als „Entweder – oder“ erscheint, kann sich als komplexer erweisen. Vielleicht ist beides möglich – oder beides nicht stimmig. Vielleicht öffnet sich ein dritter Weg. In diesem Schritt geht es darum, Alternativen zuzulassen, innerlich neu zu denken und dem Geist Raum zu geben, wo der Blick eng geworden ist.

3. Nüchtern abwägen
Nicht alles, was innerlich stimmig erscheint, ist auch praktisch sinnvoll. Es braucht eine nüchterne Sicht auf das, was tatsächlich möglich ist: Was spricht sachlich für oder gegen eine Option? Was passt zu meinen Fähigkeiten, meiner Lebenssituation, meinen Verpflichtungen?
Dieser Schritt dient der Erdung – nicht gegen den Geist, sondern in seinem Dienst.

4. Innere Regungen wahrnehmen
Was regt sich, wenn ich die einzelnen Möglichkeiten durchspiele? Welche Gedanken, Gefühle, Stimmungen zeigen sich? Was macht weit, ruhig, frei? Was löst Enge, Druck oder Unruhe aus? Hier darf alles Platz haben – ohne Bewertung, aber mit Achtsamkeit.

5. Im Gebet bewegen
Im Gebet werden die bisherigen Überlegungen vor Gott gebracht. Es ist eine Zeit, in der keine Entscheidung erzwungen wird, sondern offen bleibt, was sich zeigen will.

6. Entscheidung verkosten
Jetzt geht es darum, eine Möglichkeit innerlich probeweise zu bewohnen – im Herzen, im Gebet, im Gedanken. Wie wäre es, wenn ich diesen Weg wirklich gehen würde? Entsteht ein innerer Friede, der bleibt? Oder wachsen Fragen, Zweifel, Widerstände? Dieses „Verkosten“ ist ein geistlicher Sinn: ein Gespür für das, was trägt.

7. Entscheiden und Verantwortung übernehmen
Aus der gewonnenen Klarheit folgt der nächste Schritt. Keine endgültige Sicherheit, aber ein verantwortbares Ja – in Freiheit. Und mit der Bereitschaft, später im Rückblick zu prüfen: Was ist daraus gewachsen? Was brachte Frucht, was nicht?