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Quellen des Glaubens
Montag, 23. Mai 2022
Was die alten Asketen uns heute noch zu sagen haben

Weisheit aus der Wüste

Wer in der Wüste sitzt und die Herzensruhe pflegt, wird drei Kämpfen entrissen: Dem Hören, dem Reden und dem Sehen. Er hat nur noch einen Kampf zu führen: den gegen die Unreinheit.“

Dieses Zitat des hl. Antonius des Großen aus der Weisung der Väter gibt das Programm einer ganzen christlichen Lebens- Bewegung wieder: das der Wüstenväter. Kaum eine andere Gruppe hat die christliche Spiritualität so sehr geprägt wie sie.

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An der Wende vom dritten ins vierte Jahrhundert treten sie ins Licht der Quellen. Angefangen mit Antonius dem Großen (legendarisch 251 bis 356) strömten zahlreiche Ägypter vom fruchtbaren Niltal in die Wüste, um Gott und sich selbst zu suchen. Sie folgten einem Ruf, wie ihn auch Antonius gehört hatte: „Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib ihn den Armen; und du wirst einen Schatz Himmel haben; und komm, folge mir nach!“ (Mt 19,21). Für den hl. Antonius war klar: Diesem Ruf konnte er nicht in der Enge seines ägyptischen Dorfes folgen. So verkaufte er seinen Besitz und schloss sich ein; zunächst in ein Grab, wo das Niltal und die Wüste sich treffen.

Dort focht er den Legenden nach Kämpfe mit den Dämonen aus, die ihn von seinem Weg abbringen wollten. Er rang mit ihnen im beständigen Gebet; im strengen Fasten, das häufig nur aus einem Brot und Wasser bestand; und während er auch in der Nacht wachte und betete.

Doch das Grab in der Nähe seiner Heimat war Antonius nach über zehn Jahren nicht mehr streng genug. So ging er in die Wüste; dorthin, wo laut alter Überlieferung die Dämonen wohnten, um sich ihnen noch intensiver zu stellen und damit auch sich selbst und den eigenen Schwächen. So zog er in ein verlassenes römisches Kastell auf dem Berg Pispir. Der Legende nach soll er es 20 Jahre dort ausgehalten haben.

Stadt der Eremiten

Schon bald versammelten sich Menschen um das alte Kastell, die ihm auf seinem Weg folgen wollten. So entstanden aus den Unterkünften der Gläu - bigen, welche die Einsamkeit suchten, regelrechte Städte in der Wüste. Die bekanntesten sind die Siedlungen der Sketischen Wüste nahe Alexandria: Hier lebten zahlreiche Wüstenväter verstreut in ihren Kellia. An Sonn- und Feiertagen trafen sie sich nicht nur in der Kirche, sondern auch zum gemeinsamen Mahl. Doch ansonsten waren die Eremiten allein mit sich, ihrer Arbeit, Gott und den Dämonen in ihrem Kellion.

Freilich: So eine Behausung eines Wüstenvaters musste kein ärmliches Hüttchen sein. Archäologische Ausgrabungen bezeugen, dass manches Kellion regelrecht den Charakter eines größeren Landhauses hatte: mit Hof, Oratorium, Bibliothek sowie Schlafräumen für den Meister und den Schüler. Überhaupt, die Schüler: Alleine den Start als Eremit hinzulegen war eine übermenschliche Leistung. Man musste sich einen ersten Unterschlupf einrichten, musste die Gebete lernen, sein Essen und seine Arbeit organisieren; aber vor allem: man musste lernen, die Einsamkeit auszuhalten. Die ägyptischen Bauernsöhne waren es gewohnt, in beengten Familienverhältnissen zu leben. Auf einmal waren sie aber, abgesehen von einem Meister, alleine. Das kann einen schon überfordern. Nicht umsonst schreibt Zander, für viele wurde aus der Suche nach asketischer Selbstbeherrschung „in der Wirklichkeit des Wüstenalltags das peinliche Geratewohl unkontrollierter Gammelei”.

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Johannes Cassian hat die Wüstenväter für den lateinischen Westen erschlossen.

Fremde Asketen?

In den vergangenen Jahrzehnten ist die strenge, asketische Tradition der Athleten Christi nicht nur den meisten Gläubigen, sondern auch der überwiegenden Zahl der Ordensleute fremd geworden. Den Leib durch Fasten und Nachtwachen abzutöten ist kein attraktives Modell mehr. Die Gläubigen wollen heute nicht mehr eine asketische Norm erfüllen. Sie wünschen sich eher eine integrierte Spiritualität: Dort sind leibliche und geistliche Bedürfnisse und Potenziale integriert und dienen sich gegenseitig. Doch was haben die Wüstenväter mit all ihrer asketischen Strenge den Menschen heute noch zu sagen?

Radikales Evangelium: Die Wüstenväter sind ebenso wie wir „vor den gleichen unerbittlich harten Anspruch des Evangeliums gesetzt und müssen sich fragen, wie sie vor diesem Anspruch bestehen können”, so Bonifaz Miller. Allzu leicht wird die radikale Botschaft Jesu so lange verwaschen, bis sie nur noch zu einer Randnotiz im Leben verkommen ist, die nicht mehr stört. Die Wüstenväter erinnern uns daran, wie wir uns diese Botschaft jeden Tag zum Stein des Anstoßes machen können, an dem wir stolpern, um von Jesus aufgerichtet zu werden.

Sich finden lassen: Der hl. Antonius zog sich von den Menschen zurück, aber er wies sie nicht zurück. Er hat sich finden lassen. Antonius war Wüstenvater nicht für sich, sondern für andere. Das zeigt: Auch, wenn wir mit uns selbst beschäftigt sind, können wir offen bleiben für die anderen, die nach uns suchen. Auseinandersetzung mit sich selbst: Antonius kämpfte sein ganzes Leben lang mit den Dämonen. Jenseits der plastischen Vorstellungen sind die Dämonen die Schwächen und Fehler, mit denen wir in der Einsamkeit konfrontiert werden. Die Wüstenväter haben sich diesen Fehlern gestellt. Und sie haben das auch sichtbar gemacht. Sie waren authentisch, weil sie mit ihren Kämpfen offen umgingen. Sie fordern dazu auf, die Auseinandersetzung mit den inneren Dämonen zu suchen und davon denen zu erzählen, die uns suchen.