#Nie wieder
Du Jude!“ Es gibt Schulhöfe in Deutschland, da wird das als Schimpfwort verwendet. 76 Jahre nach dem Ende der Shoa. Während die dritte Generation mit dem Wissen um die Verantwortung Deutschlands heranwächst, nie wieder Ausschwitz zuzulassen. Doch: Der Antisemitismus ist nach wie vor aktuell. Mehr noch: Er nimmt wieder zu. Die Anzahl antisemitischer Straftaten steigt seit 2015 und hat 2020 mit 2351 Vorfällen einen neuen Höchstwert erreicht.
Zudem verschiebt sich der demographische Schwerpunkt: In den vergangenen Jahrzehnten wurde der Antisemitismus noch vermehrt als ein Problem der älteren Generation wahrgenommen. Studien zeigen aber gerade: In Ostdeutschland ist der Antisemitismus unter den 14- bis 30-Jährigen verbreiteter als in den höheren Altersgruppen.
Auch in die Populärkultur sind antisemitische Töne eingedrungen. Sie lassen sich etwa im Deutsch-Rap beobachten. Rap ist eine der dominanten Stilrichtungen bei deutschen Jugendlichen. Unter den Liedern finden sich in den vergangenen Jahren Textzeilen oder Bildmotive, die antisemitischem Gedankengut entlehnt sind. Dabei betonen die Musiker stets, dass sie keine Nazis seien. Das weist auf ein entscheidendes Problem antijüdischer Einstellungen und Aussagen hin: Es gibt eben nicht nur den rassistischen NS-Antisemitismus, sondern viele Formen und Stereotype.
Antijudaismus, Sozialneid, Rassismus
Antisemitismus äußert sich in zahlreichen Formen und hat unterschiedliche Ursprünge. In seiner religiösen Ausformung im Christentum tritt er als Antijudaismus auf. Der geht auf dessen Entstehungszeit zurück: Im Laufe des ersten und zweiten Jahrhunderts hat sich das Christentum aus dem damaligen Judentum herausgebildet. Die Juden haben wiederum in den Christen eine Sekte gesehen, die sich von der wahren Religion entfernt hat. Entsprechend gab es auf beiden Seiten antichristliche wie antijüdische Anfeindungen.
Die Lage veränderte sich im 4. Jahrhundert: Das Christentum wurde im römischen Reich zur Staatsreligion. Seitdem lebten die europäischen Juden in einer religiös begründeten Ausschlusssituation in einer vom Christentum geprägten Umwelt. Dieser zunächst rein religiös begründete Antijudaismus wurde in einigen Regionen zudem durch früh-rassistische Überlegungen angereichert, etwa durch die Vorstellung eines jüdischen Blutes auf der iberischen Halbinsel. In der Folge standen konvertierte spanische Juden unter dem Verdacht, keine richtigen Christen zu sein.
Die soziale Segregation führte auch dazu, dass Juden von zahlreichen gesellschaftlichen und beruflichen Aktivitäten ausgeschlossen waren. Ihre wirtschaftliche Interaktion mit ihrer christlichen Umwelt war vor allem durch Handels- und Geldgeschäfte geprägt. So entstand in Europa das Stereotyp des reichen Juden, der vom Elend des verschuldeten Christen profitiert. Aus dieser Geschichte heraus sind bestimmte antijüdische Stereotype entstanden wie Geiz, Unehrlichkeit oder Hinterlist.
Im frühen 19. Jahrhundert fielen in den meisten Ländern Europas die religiös begründeten Schranken, welche die Juden vom gesellschaftlichen Leben ferngehalten hatten. Doch blieben sie von den immer noch christlich geprägten Gesellschaften misstrauisch beäugt. Die Juden-Bilder blieben nach wie vor in den Köpfen der Menschen.
Im ausgehenden 19. Jahrhundert entstand dann im Zuge der sich neu entfaltenden Rassenlehre der rassistische Antisemitismus. Dieser erkennt in den Juden eine eigenständige Rasse. Selbst jenseits von Hassliteratur wie den „Protokollen der Weisen von Zion“, in denen über eine jüdische Weltverschwörung fantasiert wird, bestand in Teilen der Bevölkerung die Ansicht, dass die Andersartigkeit von Juden es ihnen unmöglich mache, mit ihren christlichen Mitmenschen zusammenzuleben. Zeitgleich entstand auf jüdischer Seite der Zionismus: Die Zionisten gingen davon aus, dass es sich beim Judentum um ein eigenes Volk handele und dass es sowohl für die Juden als auch für die Christen am besten sei, wenn erstere einen eigenen Staat besäßen. Doch erst nach der Shoah war die Welt bereit, den Juden ein Staatsgebiet im damaligen Mandatsgebiet
Palästina einzuräumen. Der sich daraus ergebende arabisch-israelische Konflikt bereicherte den Antisemitismus um eine weitere Spielart: der massiven Kritik an Israel. Damit wurde der Judenhass im Nahen Osten unter den Muslimen ebenso salonfähig wie in Kreisen der europäischen Linken, die ihn als antikoloniale Ideologie verstanden. Aus dem Holocaust ging auch der Post-Shoa-Antisemitismus hervor, der sich vor allem in der Leugnung derselben zeigt oder diese relativiert.
Achtung: Stereotype
Der Antisemitismus des deutschen Rap ist stark von sozialen, aber auch von antiisraelischen Bildern geprägt. Sind aber deswegen diese Rapper Antisemiten? Sie selbst verstehen sich so nicht. Klar ist aber doch: Sie nutzen klar die Stereotypen dieses Ideen-Komplexes. Damit tragen sie dazu bei, diese auch weiterhin in der nächsten Generation zu verankern.
Am Rap lässt sich auch zeigen, wieso antisemitische Stereotype zunehmend sichtbarer werden: Bilder und Texte werden etwa im Deutsch-Rap immer weniger kritisch kontrolliert, bevor sie veröffentlicht werden. Viele Musiker haben mittlerweile ihre eigenen Labels und in den Social Media eine zahlreiche Fanbase. Ihre Kommunikation wird zunehmend weniger durch Agenturen gefiltert. Getextet und gezeigt wird, was den Fans gefällt. Auch, wenn dabei Juden mit hassgeprägten Stereotypen besetzt werden.
Dabei sind manche Bilder und Vorurteile schon so tief in das westliche kulturelle Gedächtnis eingedrungen, dass sie selbst in Feldern vorkommen, die unverdächtig sind. Etwa in den Büchern der Harry-Potter-Reihe. Hier treten Kobolde als Händler und Banker auf, die als mächtige und undurchsichtige Akteure erscheinen. Betrachtet man die filmische Umsetzung, so erinnern diese an antisemitische Darstellungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Zwar soll weder der Autorin der Bücher noch den Filmemachern Judenhass unterstellt werden. Doch wird daran deutlich wie tief bestimmte Bilder in das kulturelle Gedächtnis eingegangen sind.
Das alles zeigt: Antisemitismus in seinen vielen Bildern, Sprachformen und Darstellungen ist ein weiterhin virulentes Problem in der westlichen und in der deutschen Gesellschaft. Sie zu markieren und offenzulegen ist daher eine bleibende Aufgabe.
Fotos:
Header Bild: Mylius, Wikimedia Commons