Schluss mit Reli?
Der Religionsunterricht steckt in der Krise. Bei Schülern gilt er als Laberfach. Bei Schulleitungen ist er unbeliebt, denn die Kinder und Jugendlichen müssen aus verschiedenen Klassen zusammengesetzt und die Lehrpläne mitunter aufeinander abgestimmt werden. Die Lehrer werden für ihr Fach im Kollegenkreis häufig nicht ernst genommen oder leiden darunter, dass sie die aktuelle kirchliche Situation mit ausbaden müssen. Und für die Kirche ist er nicht Teil des Kerngeschäftes. Man könnte also annehmen: der Religionsunterricht ist reif zum Abbruch. Doch so einfach ist die Sache nicht.
Verfassungsrang
Staatsrechtlich hat der Religionsunterricht unter allen Fächern eine einzigartige Stellung. Im Grundgesetz wird er unter Paragraph 7, Absatz 3 garantiert: „Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt.“
Missio Canonica
Der zweite Satz im Zitat weist auf eine Eigenheit hin: Der Staat bestimmt den Inhalt des Religionsunterrichtes nicht alleine. Es handelt sich um eine Aufgabe, die Staat und Kirche gemeinsam wahrnehmen. Denn die Regierungen können in einem säkularen System nicht definieren, was Schülern als Glaubensinhalte vorgelegt werden soll.
Daher haben die Religionsgemeinschaften Einfluss auf die Lehrpläne und die Ernennung der Religionslehrer. Diese müssen durch die Kirchen beauftragt werden. Für die Katholiken nennt sich das Missio Canonica. Darüber gehen unter Theologiestudenten viele Gerüchte um: etwa dass der Bischof das Bett in der WG ausmisst, um festzustellen, ob die angehende Religionslehrerin ohne Trauschein eine eheähnlichen Beziehung führt.
Tatsächlich: Die Verleihung der Missio kann die Kirche davon abhängig machen, ob der Anwärter in seiner Lebensführung religiösen Werten entspricht. Theoretisch kann die Kirche die Missio auch wieder entziehen. Faktisch kommt das aber in deutschen Bistümern kaum vor.
Viel häufiger geben Lehrer ihre Entsendung zurück. Oder sie lehren das Fach Religion nicht mehr. Auch das ist eine Sonderstellung. Wieder Paragraph 7: „Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.“
Aber nicht nur Lehrer können Reli abwählen. Auch die Schüler. In vielen Schulen gibt es mittlerweile einen Ersatzunterricht; in anderen entfällt dann die Stunde. Für viele Schüler eine attraktive Möglichkeit, sich eine Freistunde zu verschaffen.
Also sprach Böckenförde
Seine staatliche Relevanz gewinnt der Religionsunterricht aus dem Dilemma, das Ernst-Wolfgang Böckenförde in dem berühmt gewordenen Satz formulierte: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Der Religionsunterricht nimmt daran Anteil, hat also einen staatsbürgerlich- bildenden Charakter. Er bringt staatliche und gesellschaftliche Werte mit religiösen Vorstellungen und Moral in Verbindung; dafür legt er den Schülern die Inhalte ihres Glaubens zur kritischen Reflexion in Freiheit vor.
Wozu braucht es noch Religionsunterricht?
in Deutschland im Niedergang. Auch die Zahl der Schüler nimmt ab, die im Religionsunterricht sitzen. Doch für das hohe Maß an Entkirchlichung nehmen immer noch viele Kinder und Jugendliche an diesem Unterricht teil. Wieso wählen angehende Lehrer noch das Fach und wieso halten Schüler ihm immer noch die Treue?
Fragt man die Betroffenen, so fällt häufig eine ähnliche Antwort auf: Weil Reli einfach anders ist. Viele Schüler erleben in der Schule das Fach Religion als Freiheitsraum. Dort geht es nicht um die richtigen Antworten, wie sie etwa in Chemie oder in Geschichte erwartet werden. In Reli ist auch das Leben der Schüler Thema; sie kommen miteinander mit dem Lehrer über Inhalte ins Gespräch, deren Antworten nicht schon feststehen. Für Lehrende wiederum ist Reli der Ort, an dem sie am meisten mit den Schülern in Kontakt treten können
Wenn man Beziehung zu den Kindern und Jugendlichen aufnehmen möchte, so bietet sich dieses Fach an. Dass Religionsunterricht in Deutschland nach wie vor konfessionell ist, das wird von den meisten Lehrern eher hingenommen als aktiv befürwortet.
Erst- und Letztkontakt Religionsunterricht
Auch wenn Religionsunterricht im kirchlichen Leben nicht zum Kerngeschäft gehört; es ist der kirchliche Dienst, der noch die größte Breitenwirkung hat. Denn jeder Schüler, der als katholisch oder evangelisch angemeldet ist, wird zunächst automatisch in den konfessionellen Religionsunterricht geschickt. Das gilt auch für solche Kinder, die noch nie Kontakt zur Kirche hatten. Das Fach bildet damit für viele Schüler den Erstkontakt mit ihrer Kirche; der Religionslehrer wird zum ersten religiösen Experten – und für viele Jugendliche auch zum letzten, mit dem sie sich auseinandersetzten.
Reli: Ein Wagnis mit bewährten Partnern
Der Religionsunterricht ist die ständige Mahnung, dass der demokratische Staat von Grundsätzen lebt, die er nicht selber schaffen kann. Natürlich, diese Grundlagen werden nicht allein durch Religionsgemeinschaften geprägt. Aber wie schwierig es für den Staat ist, einen Ansprechpartner für weltanschaulichen Unterricht zu finden, hat etwa die Diskussion um den islamischen Religionsunterricht gezeigt. Weltanschauungsgemeinschaften Einlass in die Schule zu gewähren, das ist für den Staat ein Wagnis. Die christlichen Kirchen sind für dieses Wagnis bewährte Partner.