Politiker lügen? Oder nicht?
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Freitag, 21. März 2025

Eine schwierige Abwägung

Politiker lügen.“ – Ein Satz, der in der öffentlichen Meinung beinahe zum Allgemeinplatz geworden ist.

Laut einer aktuellen Studie gaben nur 27 Prozent der Befragten an, den politischen Parteien zu vertrauen. Noch schlechter sieht es aus, wenn man nach dem Ansehen von Politikern fragt: Bei lediglich 14 Prozent der Befragten haben Politiker ein hohes Ansehen. Für eine Demokratie ist das ein dramatischer Befund. Denn in einer Demokratie beauftragten die Bürger ihre Vertreter, in ihrem Sinne politisch zu handeln.

Vertrauen entsteht durch Verbindlichkeit

Es scheint also grundsätzlich etwas schiefgelaufen zu sein im Vertrauen zwischen dem Bürger und seinen Politikern. Vertrauen entsteht durch die kontinuierliche und verlässliche Erfahrung von Integrität, Transparenz und Kompetenz. Vertrauen ist jedoch fragil und kann schnell zerstört werden. Ein entscheidender Aspekt, um Vertrauen aufzubauen, ist die Erfahrung von Verbindlichkeit. Verbindlichkeit lässt sich als die Bereitschaft und Fähigkeit beschreiben, Zusagen und Vereinbarungen einzuhalten, Prinzipien zu folgen und für die daraus resultierenden Verpflichtungen Verantwortung zu übernehmen. In der Politik bedeutet Verbindlichkeit: Politiker und politische Institutionen halten ihre Zusagen gegenüber der Bevölkerung und den Partnern ein.

Wie ernst sind Versprechen in der Politik wirklich?

Wie verbindlich sind Wahlversprechen? Die vergangenen Monate haben gezeigt, welche Herausforderung Verbindlichkeit in der Politik ist – und wie dramatisch es ist, wenn sie fehlt. Die öffentliche Wahrnehmung der letzten Bundesregierung war auch deswegen desolat, weil gefundene Kompromisse immer wieder infrage gestellt und neu aufgeschnürt wurden. Nach der Verhandlung war vor der Verhandlung.

Wochenlang wurde mit Wahlversprechen geworben. Doch viele Bürger fragen sich nun: Wie verbindlich waren die Wahlversprechen? Selbst, wenn man die vergangenen Monate ausblendet: Politik erfordert fast immer Kompromisse und Flexibilität – Eigenschaften, die die Verlässlichkeit von Zusagen oft relativieren.

Wenn Versprechen ins Leere laufen

So forderten die Grünen in ihrem Wahlprogramm 2021 ein Tempolimit in Ortschaften von 30 km/h und auf Autobahnen von 130 km/h. Doch obwohl ein solches Tempolimit kaum etwas gekostet hätte und relativ leicht umsetzbar gewesen wäre, kam es nicht. Die FDP verhinderte es.

Doch selbst wenn ein Wahlversprechen breite Zustimmung findet, kann es an den Umständen scheitern. Das lernte auch Olaf Scholz. Im Wahlkampf 2021 plakatierte die SPD: „Jetzt faire Mieten wählen.“ Er bezeichnete die Wohnungsnot als „zentrale soziale Frage unserer Zeit“. 400.000 neue Wohnungen pro Jahr wollte er daher bauen lassen.

Doch aus den 400.000 neuen Wohnungen wurde nichts. Das kann man der Bundesregierung aber nur begrenzt anlasten. Denn gebaut werden die von der Bauwirtschaft, im Auftrag privater Bauträger, mit Grundstücken, die von den Kommunen ausgewiesen werden, auf Basis eines Bauordnungsrechtes in der Hand der Länder. Dazu kam noch der russische Angriffskrieg, der die Inflation anziehen ließ; der Krieg wirkt sich auch auf die Bauzinsen auf, da die europäische Zentralbank den Leitzins erhöhte. Dennoch: Das Versprechen stand im Raum. Nun die vielen Gründe aufzuzählen, wieso es nicht klappt, wirkt verständlich, aber nicht verbindlich. Zumal wenigstens das komplexe Verhältnis der verschiedenen politischen Ebenen bekannt war. War es also eine Lüge?

Darf man in der Politik lügen?

Das kann man so sehen. Doch dann war es eine politische Lüge, die, nach Hannah Arendt, Ausdruck der Freiheit sein kann. Denn die Lüge emanzipiert sich von der „Objektivität der Wirklichkeit“, wie Robert Habeck es nennt, um eine andere Zukunft zu entwerfen. Der Lügner, so Arendt, „sagt, was nicht ist, weil er das, was ist, zu ändern wünscht.“

Politiker, die bereit sind, zu ihren Überzeugungen zu stehen und sie durchzuziehen, gelten häufig als schwierig. So etwa Karl Lauterbach. Er sei kein Teamplayer, ist aus seiner Umgebung zu hören. Aber es heißt auch: Auf Zusagen von ihm könne man sich verlassen. „Lauterbach macht nicht, was ihm als Politiker nutzt, sondern was er persönlich für richtig hält“, bemerkt Jens Baas dazu in der Zeit. Er ist Chef der größten Krankenkasse Deutschlands, der Techniker.

Ohne Vertrauen bricht die Demokratie

Damit legt er die grundlegende Mechanik in der Politik offen: Macht beruht auf Zustimmung. Man muss also Mehrheiten organisieren und zusammenhalten können. Verbindlichkeit gehört zwar zu den Instrumenten, Zustimmung zu erzeugen. Wo Verbindlichkeit es aber eher erschwert, Mehrheiten zu gewinnen, wird sie meistens abgelegt. Darin liegt für die Politik ein Risiko. Sich nur den Umständen anzupassen oder Wähler und Partner direkt angelogen zu haben – die Grenzen sind nicht immer klar. Politik ist ein kompliziertes Geschäft.

Gerade deswegen ist Vertrauen in die Politik so entscheidend. Denn Vertrauen vereinfacht Entscheidungen. Statt alles selbst erörtern und bedenken zu müssen, lautet die Frage: Welchem Politiker traue ich zu, seine Zusagen einzuhalten bzw. in meinem Sinne am besten zu handeln? Dieses Vertrauen ist das Fundament der repräsentativen Demokratie. Wenn das Vertrauen in die politischen Repräsentanten dagegen in grundsätzliches Misstrauen umschlägt, dann erodiert das Fundament. Dieses Vertrauen wieder zu begründen, ist daher eine entscheidende Aufgabe – für Politiker und ihre Wähler.